: West-Ost-Transfer
Die Berliner Lesbenwoche kommt aus Westdeutschland / Anmerkungen zur Nummer Fünf der Herbstzeitlosen ■ Von Kerstin Lück
Nun schwingt sie wieder im Ausnahmezustand, die Berliner Lesbenszene. Die Wohnungen sind voller Freundinnen, und die Programme wechseln ständig in die falschen Taschen. Wo rennen sie bloß alle hin? Die Berlinerin dreht und wendet sich am Küchentisch. Geht sie zur Lesbenwoche oder geht sie nicht? Warum sollte sie? Die Veranstaltungen gleichen sich irgendwie und die Lesben auch. Jedes Jahr ein ähnlicher Anblick: vollgeknüllte Räume, geschäftige Verkäuferinnen von Lesben-Accessoires und vollbeschäftigte Zuhörerinnen. Das Orchester wiederholt das Programm, das Publikum hüstelt an der gleichen Stelle.
Interessant sind eher die Gespräche mit den Besucherinnen zu Hause. Die Bereitschaft, über Themen „nur für Lesben“ zu reden, ist in dieser Woche gestiegen. Und privat ist es schöner als mit den vielen fremden Ladies im ungemütlichen Alternativ-Zentrum Mehringhof (obwohl es von Jahr zu Jahr schöner gestaltet ist). Der Inhalt läßt Wünsche übrig. Im Angebot ist „die glasklare radikal-lesbische Weltanalyse, damit keine sagen kann, sie hätte nichts gewußt“. Auch Dauerbrenner wie „Prololesben“ oder „Lesben in der DDR“ animieren die Frontstädterin nicht mehr. Zu oft wurde schon darüber gesprochen, und Urlaub zu nehmen in der eigenen Stadt, nur um in der Lesbenfülle baden zu können, kommt nicht in Frage. Lusty Ladies
Lieber werden die Beilagenprogramme der einschlägigen Örtlichkeiten studiert. Die vielen Feste, vielleicht ein paar Sportivitäten und nicht zuletzt die Kinofilme, die sich alle immer wieder angucken können (z.B. Madame X von Ulrike Oettinger oder die beliebten S&M-Filme wie Bondage von Monika Treut). Und es wird kräftig ins „Pelze“ gegangen. Im Stadtteil Schöneberg wirbt die multimediale Bar mit dem „Zyklus der unverwesbaren Geliebten“ für ihr Nachtcafe und lädt zu diversen Veranstaltungen um Sex und Lust. Das ist immer wieder spannend und immer wieder aktuell. Der Ruf der bepelzten Damen als S&M-Klub hält sich in der Restrepublik stärker als daheim, und deshalb sind die Westdeutschen bei Nacht in der Minderzahl.
Also hin zu den „Lusty Ladies“ und aufgepaßt, wenn's um neue Worte für die geliebten Körperteile geht. Jede wollte ein Stück mitnehmen von der „Titten-Torte“, und so gingen die lexikalischen Neuschöpfungen von Barbara Merziga weg wie warme Schrippen. Lilly hatte ihre „Lesbian Love Chocolate“ ausgelegt, und die zwischen Aphrodisiakum und Liebes -Surrogat changierende Süßigkeit brachte die Hungrigen Herzen in Verzückung.
Die Nächte scheinen länger als die Tage gewesen zu sein, und sobald es hell wird, forscht die Autorin weiter nach den Gründen für die geheimnisvolle Abstinenz der Lokalmatadorinnen.
Ausgenommen ist hier natürlich die „young generation“ der Veranstalterinnen, die jedes Jahr wieder voller Elan und Hingabe die Woche organisiert, um danach zusammenzuklappen, ohne eine Veranstaltung besucht zu haben, und den festen Vorsatz faßt, das nächste Jahr Schutz, Putz und Organisation den lieben Mitlesben zu überlassen. Spielstunde und Wachestehen
Vielleicht liegt auch hier die Überforderung der konsumgewohnten Berlinerin begründet: Jedes Jahr steigern sich die Anforderungen für die Besucherinnen der Lesbenwoche. Im Idealfall rennt jede mit einem Doppelaxt -Kaffeebecher, der gespült werden muß und mit 1Mark Pfand belegt ist, durch die heiligen Gänge, greift sich ab und zu einen Putzlappen, um 1 Mark Eintrittsgeld zu sparen, und trägt sich für mindestens zwei Stunden zum Wache-Stehen draußen vorm Tor ein, damit nicht prügelnde Männer hineingelangen (wie vor zwei Jahren geschehen). Darüber hinaus wird aktives Mitwirken in AGs verlangt, wenn nicht überhaupt die Referentin nach zehnminütiger Einleitung behauptet, jetzt wären wir dran, sie hätte nämlich keine Lust auf Vorträge.
Aber nicht allein diese Wünsche überfordern die Berlinerin. Ältere Lesben mit einigen Jahren Frauenbewegungserfahrung auf dem Rücken finden sich kaum wieder in den jungen Gesichtern, die kurz nach dem Coming-out glücklich in den überfüllten Räumen sitzen. „In dieser Atmosphäre fühle ich mich einfach nicht wohl“, meint eine Freundin entschuldigend. Eine andere flüstert mir zu, vielleicht sei sie schon zu „oll“. Das erscheint mir denn doch zu doll, obwohl ich mir vorstellen kann, daß die Veranstaltung „Wie wir wurden, was wir sind“ für die Lesbe ab 40 nicht unbedingt von Reiz ist. Privat und privater wird es eben nicht automatisch auch politischer, ist ihre Vermutung, und so bleibt auch sie daheim. Mauerliebe
Meine Beobachtungen mehren sich, aber die Analyse der Ursachen bleibt bescheiden. Die alte Frage nach der politischen Sprengkraft der Lesbenwoche wird zumindest von der Mehrzahl der Berlinerinnen mit Abwesenheit beantwortet. Ob Sich-separieren oder ein aufmerksames Miteinander mit Heteras, Schwulen und gar Heteros angesagt ist, wird hier nicht diskutiert; vielleicht weil alle Möglichkeiten offenstehen und für jede Nachfrage ein Angebot besteht in der Stadt der 100 Frauenprojekte. (Demnächst soll es eine Orientierungshilfe für Lesben durch diesen Dschungel geben.) Zwischen den Mauern geht es um das Wie der multiplen Lesbenkultur und nicht um ein moralisierendes Ob. Ein Übersättigungsphänomen oder das Glück der Nischenbewohnerin?
Die eher vergnügungssüchtige Ortskundige hatte einen vollen Terminkalender, besuchte dieses und jenes, redete über die zu erwartenden Ost-Lesben-Touris und übte sich in Geduld. Lesbenaufläufe in Berlin haben Tradition (wer kann, erinnere sich der Frauensommerunis), und alles wird einmal vorübergehen. Irgendwann wird die Mauer zum Denkmal erklärt, und die Lesbenwoche zieht um nach Westdeutschland. Nur die Verliebten bleiben länger in der Stadt - und welche hätte nicht versucht, sich in dieser Woche zu verlieben.
Noch erhältlich - in den Frauenbuchläden - sind die Dokumentationen der vier vorangegangenen Lesbenwochen.
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