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Aus Krakau in den Wedding

■ Polnische Frauen in Berlin: Warum aus einer Richterin in Polen eine Putzfrau in Berlin wird

Von den 16.000 Polen in Berlin weist die offizielle Statistik 10.200 Polinnen auf - viele davon kamen über Nacht aus ihrer Heimat in ein nur 80 Kilometer entferntes, aber unbekanntes Land - aus ihrer vertrauten Kleinstadt in die anonyme Metropole, in ein Wohlstandsparadies, wo Milch und Sozialneid fließen. Zwei bis dreimal so hoch ist die Dunkelziffer derjenigen, denen dauerhaftes Bleiberecht eingeräumt ist ohne Arbeitserlaubnis. Zu Anfang trafen sie noch auf das scheinbar unbegrenzte Wohlwollen und wurden auf Empfangsblättern des Senats herzlich willkommen geheißen. Mit der Zeit wurden die Begrüßungsfloskeln immer leiser, das Versprechen, ihnen Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis zu geben, wurde immer kleiner.

Vor anderthalb Jahren war Anja Wojciechowskie Familienrichterin in Krakau mit einem Monatslohn von damals 50.000 Zloty. Das sind umgerechnet 25 D-Mark. Sie wollte weg - lieber heute als morgen - und ließ sich für zwei Jahre beurlauben. Heute ist Anja Wojciechowskie Putzfrau in Berlin. Sie arbeitet schwarz bei einem Architektenbüro und im Haushalt einer Wirtschaftsprofessorin und verdient sich auf diese Weise einen Monatslohn von 1.300 Mark. Im Wedding teilt sie sich als Untermieterin mit zwei anderen Frauen ein Zimmer - mit ihrer Schwester Theresa, einer Bibliothekarin, die in einem Hotel am Wannsee als Zimmermädchen arbeitet, und ihrer Cousine, einer Biologin, die schwarz bei einer Teppichreinigungsfirma beschäftigt ist. Je dreihundert Mark zahlen sie an die Hauptmieterin, eine entfernte Bekannte aus Polen, die sich mit der Untervermietung ein beachtliches Zubrot verdient. Anja bereut es, studiert zu haben. Jetzt ist sie alleinstehend mit einem Job, der von ihrer Qualifikation weit entfernt ist, was ziemlich aufs Gemüt schlägt. „Die geistige Nahrung fehlt mir hier am meisten“, sagt sie, „in Berlin gibt es höchstens ein bis zwei polnische Zeitungen zu kaufen.“ Einmal habe ein Lehrer auf dem Polenmarkt eine ganze Palette polnischer Zeitungen angeboten. „Die Polizei hat ihn vertrieben, weil er keinen Gewerbeschein hatte.“

Nach offizieller Statistik leben in Berlin 10.200 Polinnen. Zwei bis dreimal so hoch ist die Dunkelziffer derjenigen, denen dauerhaftes Bleiberecht ohne Arbeitsgenehmigung oder ein Touristenvisum bis zu einem halben Jahr eingeräumt wird. Viele von ihnen sind Akademikerinnen, deren Lebensläufe von der wirtschaftspolitischen Misere ihres Landes gekennzeichnet sind: Perspektivlosigkeit, geringes Salär, fehlende Grundnahrungsmittel, Wohnungsnot. In Berlin arbeiten sie als Küchenhilfen, als Bedienungen in Cafes und Restaurants, Verkäuferinnen, Hausmädchen, Köchinnen, Kassiererinnen, Zimmermädchen, Animierdamen, Prostituierte und meist als Putzfrauen. Bei der Arbeitssuche sind sie anspruchsloser als ihre deutschen Geschlechtsgenossinnen, genießen dafür keinen Kündigungsschutz, keine Krankenversicherung. Für die Männer wird es immer schwerer, schwarz auf dem Bau zu arbeiten; Putz- und Küchenhilfen können dagegen jahrelang unentdeckt in Privathaushalten Geld verdienen.

Maria Kweatkowskj, 36jährige Bauingenieurin, lebt seit zwei Jahren mit Mann und Kind in Berlin. Sie hat eine Arbeitserlaubnis für 18 Stunden im Monat und kämpft sich damit immer wieder beim Arbeitsamt durch. „Natürlich sagen sie einem, daß erst mal die eigenen Landsleute dran sind. Das kann ich auch verstehen. Sehr freundlich sind sie nicht zu uns, am liebsten wäre ihnen, wir würden gleich wieder verschwinden, aber das stört mich inzwischen nicht mehr. Ich kann auch mal frech werden.“ So selbstbewußt reagieren nicht alle. Meist herrscht die Devise: Nur nicht auffallen. „Im Supermarkt oder auch im Kaufhaus werden wir genau beobachtet, ob wir nicht klauen“, erzählt Anja Wojciechowskie, die Familienrichterin. „In der U-Bahn, im Bus oder auch auf der Straße vermeiden wir es, miteinander in unserer Sprache zu sprechen. Wenn, dann nur leise, um nicht als Polinnen identifiziert zu werden.“

Die Tatsache, daß viele ihrer Mütter und Großmütter als Zwangsarbeiterinnen während des Zweiten Weltkriegs in Deutschland leben mußten, bleibt meist unausgesprochen. Fast 200.000 polnische Frauen arbeiteten 1941 in der deutschen Landwirtschaft. Bis 1945 war Polen für Deutschland wichtigstes Reservoir für Arbeitskräfte. Jetzt kommen sie wieder - nur scheinbar freiwillig und für westliche Devisen, weil die Wirtschaft ihres Landes am Ende ist. Auch das ist eine Folge des Zweiten Weltkrieges.

Am ungeniertesten richtet sich das rassistische Klischee von den dienstbaren Slawen gegen die polnischen Frauen. „Rassige Polin Maja und Zart-Sklavia, Polin-Schwedentyp“ annoncieren die Bordellwirte täglich in den Springergazetten. Auch die Heiratsvermittlungen haben ein lukratives Geschäft entdeckt. „Viele deutsche Männer sind ganz verrückt nach polnischen Frauen“, sagt Marianne Flämig -Lipowicz, Herausgeberin des einzigen deutsch-polnischen Magazins 'City Life‘ in Berlin, und deutet auf die Antworten auf polnische Heiratsanzeigen.

Viel größer als die Zahl der Heiratswilligen ist die der Arbeitstouristinnen: vor allem Mütter, die zu Hause ihre Kinder bei Verwandten unterbringen und für ein paar Tage oder Wochen in Berlin Geld für das Nötigste verdienen: Medikamente, Kinderkleider, Spielzeug. Ihre Zahl wird eher größer als kleiner, denn „die Frauen in Polen haben kein Glück“, glaubt Anja. „Weder unter der alten noch unter der neuen Regierung.“ Mit einer Freundin will sie demnächst einen Deutschkurs an der Volkshochschule belegen - ein erster Schritt, um sich aus der Isolation zu befreien. „Das Kulturangebot in Berlin ist groß, aber ich kann es nicht wahrnehmen.“ Irgendwann vielleicht kann sie sich den Luxus leisten, der ihr bei ihrer Ankunft gleich aufgefallen ist. „Die Frauen hier haben viel mehr Zeit, über sich nachzudenken, ihre Möglichkeiten und Grenzen herauszufinden.“

Lilli Limonius

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