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Gegen Ellenbogenfreiheit, Verschwendung, Wegwerfmentalität

Erklärung zur Gründungsinitiative für eine grüne Partei in der DDR  ■ D O K U M E N T A T I O N

Für eine Erneuerung unserer Gesellschaft hat die Umgestaltung unserer zerstörten Umwelt entscheidende Bedeutung. Aber nicht nur unsere Umwelt ist bereits verseucht, sondern in noch viel größerem Maße unser Bewußtsein, nämlich durch die Utopie, daß ständig wachsender Wohlstand und - als seine Bedingung - permanentes wirtschaftliches Wachstum zum Ziel der gesellschaftlichen Entwicklung gemacht werden kann. Diese Art von Utopie suggeriert uns, der Mensch könne sich willkürlich im Lebenssystem Erde bewegen. Sie versteigt sich sogar zu der militanten Behauptung, er könne sich die Erde unterwerfen.

Damit verbunden ist die Vorstellung, daß Leistung und ihre Belohnung zentraler Maßstab der Bewertung menschlichen Seins wären. Diese Annahme, in ihrer Arroganz, verdrängt die Schwachen an den Rand ihrer möglichen Existenz. Ja, sie kippt sie zunehmend über diesen Rand ab.

Dabei ist es gleichgültig, ob sie auf der Pflegestation einsam und würdelos abtreten, ob sie in die Massengräber der Dritten Welt geschaufelt oder im Museum der ausgestorbenen Pflanzen- und Tierarten auch noch zur Schau gestellt werden.

Unser dergestalt verseuchtes Bewußtsein hat folgerichtig die zum ersten Mal in der Geschichte der Erde mögliche Vernichtung allen Lebens bereits eingeleitet.

Wir handeln also nur aus Selbsterhaltungstrieb, wenn wir als Mitverantwortliche diesem Prozeß und Bewußtsein Einhalt gebieten. Daher werden wir mit der Grünen Partei unserer ökologischen Weltsicht in der Gesellschaft der DDR politische Kraft verleihen, in dem wir sie kompromißlos zum Ausgangspunkt aller unserer Bestrebungen machen.

Wir, als Initiativgruppe, haben folgenden Gründungsaufruf zur Grünen Partei in der DDR beschlossen: Die Grüne Partei in der DDR stellt sich auf die Seite aller Kräfte, die sich für Demokratie und Freiheit durch tiefgreifende Reformen in unserem Land einsetzen.

Sie ist ökologisch, feministisch und gewaltfrei.

Die besonderen Ziele der Grünen Partei sind:

Der konsequente ökologische Umbau unseres Landes in radikaler Absage an umweltzerstörendes, rohstoffvergeudendes Wachstum und dem stalinistisch-geprägten Umgang mit Menschen, Wirtschaft und Umwelt. Sofortiger Handlungsbedarf besteht für die ökologischen Katastrophengebiete im Raum Leipzig, Bitterfeld, Halle, Dresden, Karl-Marx-Stadt und Cottbus und zur Rettung vieler historischer Altstädte, Kulturlandschaften und Schlösser, zum Beispiel in Mecklenburg.

Die endgültige Sicherung des Friedens durch allgemeine und vollständige Abrüstung. Der Abbau der Militärbündnisse, die Reduzierung der NVA auf das geringste notwendige defensive Niveau und die Aufhebung der militärischen Sperrgebiete ist eine zwingende Notwendigkeit zur Erhaltung von Frieden und Umwelt.

Wir lehnen Gewalt, nationalen Chauvinismus und Rassismus ab und bekennen uns zum konsequenten Antifaschismus.

Die uneingeschränkte Gleichberechtigung aller Frauen und Männer auf allen wirtschaftlichen und politischen Ebenen, von den örtlichen Volksvertretungen bis zur Zusammensetzung des Staatsrates, die immer noch den Charakter überwiegend patriachalischer Institutionen haben. Der Frau als Mutter steht in dieser Beziehung eine bevorzugte Stellung zu.

Die Natur ist um ihrer selbst willen vor der ungehemmten Entfaltung des Menschen zu schützen. Nur so kann sie Grundlage menschlicher Gemeinschaft und Kultur sein. Bei jeder wirtschaftlichen Aktivität ist daher zu fragen: wohin, für wen, weswegen?

Die Grüne Partei setzt sich prinzipiell für eine dauerhafte Entwicklung ein.

Wir wollen vor allem verhindern, daß die gegenwärtige Erneuerungsbewegung in unserem Land unter dem Druck unvernünftigen, kurzsichtigen, materiellen Nachholbedarfs eine Gesellschaft der Ellbogenfreiheit, der Verschwendung und Wegwerfmentalität entstehen läßt.

Wir halten die ökologische Orientierung aller Bildungsebenen für dringend geboten, u.a. die Einführung von Umwelt- und Friedenskunde.

Auf der Grundlage der Verfassung der DDR handelnd, setzen wir uns für eine Verfassungsreform ein.

Wir setzen voraus, daß die Tätigkeit der Grünen Partei in der DDR keiner staatlichen Behinderung unterliegen wird.

Wir werden projektgebunden - sowohl national wie auch international - mit allen Bürgern, Organsationen und Gruppierungen zusammenarbeiten, die unsere Vorstellungen, auch in Teilbereichen, unterstützen.

Als Teil der Bewegung der europäischen Grünen setzen wir uns für gerechte Verteilungsstrukturen ein, die auch den Völkern der Dritten Welt eine dauerhafte Entwicklung garantieren und den Zusammenbruch des globalen Ökosystems verhindern helfen.

Wir fördern grenzübergreifende Partnerschaften zum gemeinsamen ökologischen Umbau von Umweltkrisengebieten.

Im Vertrauen auf die grundsätzliche Wende unseres Landes rufen wir alle interessierten Bewohnerinnen und Bewohner gleich welcher Anschauung, Religion und Nationalität - auf:

Aus Sorge um die katastrophale Entwicklung unserer Umwelt, aus Verantwortung für unsere Kinder und die noch ungeborenen Generationen - schließt euch im örtlichen und regionalen Bereich zu Basisgruppen der Grünen Partei der DDR zusammen.

Wählt Sprecherinnen und Sprecher, erarbeitet Vorschläge für das Programm und die basisdemokratische Organisationsstruktur. Erarbeitet auf der Grundlage von Problem- und Forderungskatalogen für eure Gemeinden, Städte, Regionen und die gesamte DDR alternative Konzepte, macht kreative und praktikable Vorschläge zum ökologischen Umbau unserer Gesellschaft.

Beginnt mit Aktionen!

Die erste Delegiertenvollversammlung, die u.a. Programm, Struktur und Personalfragen der Grünen Partei in der DDR beschließt, wird Anfang 1990 in einem der von der Umweltzerstörung am schwersten betroffenen Orte der DDR stattfinden.

Für eine grüne Wende!

Die Grüne Partei

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