: Aoun mit dem Rücken zur Wand
■ Libanon nach den Präsidentschaftswahlen
Mit der Wahl Rene Moawads zum libanesischen Präsidenten sitzt nun ein anderer auf dem Stuhl, den General Aoun, Chef der christlichen Militärregierung, gar zu gerne selbst besetzt hätte. Aoun ist heute stärker isoliert als jemals zuvor: in seinem eigenen Lager, im Libanon insgesamt und in der internationalen Arena.
Auch ohne Aoun stünde die neue, noch zu bildende libanesische Regierung vor der überaus schwierigen Aufgabe, die angestrebte „nationale Einheit“ zu realisieren. Das Friedensabkommen von Taif, immerhin ein Hoffnungsschimmer am Horizont nach vierzehn Jahren Bürgerkrieg, hat auch Querschläger im moslemischen Lager. Mit Aoun, der in Ostbeirut ein Konkurrenz-Kabinett anführt, steht die Regierung jedoch vor ihrer ersten großen Bewährungsprobe. Die Drohung einer Spaltung des Landes steht bereits im Raum.
Dabei ist Aoun nicht per se Befürworter einer Spaltung, ganz im Gegenteil. Er verfolgte das Ziel eines starken, geeinten und souveränen Libanon unter seiner Führung. Damit ist er gescheitert. Sein letztes Manöver, die Auflösung des Parlaments, war nur noch ein Spiel auf Zeit, nachdem der Zug längst in Richtung Taif abgefahren war. Die Torpedierung des Friedensabkommens ist, im wörtlichen Sinne, ein gefährliches Hantieren mit dem Feuer. Doch der Preis für die Unnachgiebigkeit des Generals war hoch: der tiefe Riß durch das christlichen Lagers.
So ist die Spaltung des Landes nur Aouns zweite Option. Wenn er schon nicht zum „Retter der Nation“ avancieren konnte, so kann er sich zumindest zum unumschränkten Herrscher des Christenlandes aufschwingen. Eine andere Möglichkeit wäre die Fortsetzung seines „Befreiungskrieges“ nicht nur gegen die syrischen Besatzungstruppen, sondern auch gegen den Rest des Landes. In einer Situation, in der das Friedensabkommen breite Zustimmung von Beirut bis Paris und Washington genießt und Aoun sich einflußreiche Teile seiner eigenen Gemeinschaft verprellt hat, erscheinen beide Alternativen gleichermaßen selbstmörderisch. Unmittelbar ist nun eine innere Abrechnung im christlichen Lager zu befürchten. Nach dem Überfall auf den maronitischen Patriarchen Sfeir ist derartiges nicht von der Hand zu weisen.
Aoun hat sich selbst ins Abseits manövriert und steht nun mit dem Rücken zur Wand. Wenn er noch einen Beitrag zur „Rettung der Nation“ leisten will, bleibt ihm allerdings eine weitere Option: den Präsidenten anzuerkennen und als Chef der christlichen Militärregierung zurückzutreten, um einen Neubeginn zu ermöglichen und dem Friedensabkommen eine Chance zu geben.
Beate Seel
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