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Zwei Schritte vor, einen zurück

■ „In den nächsten Tagen“ soll es eine neue Flüchtlingsweisung geben / Wie sie aussieht, ist allerdings unklar / AL will Flüchtlinge zur Ausländerbehörde begleiten

Angst vor der eigenen Courage treibt den rot-grünen Senat in Sachen Flüchtlingspolitik um. Die Weisung des Innensenators vom 20. Juni - damals als richtungsweisend beklatscht, nunmehr zum Teil auf Eis gelegt - wartet immer noch auf eine verbindliche Neufassung. Leidtragende dieser Zauderpolitik sind Flüchtlinge aus sogenannten Abschiebestoppländern. Für sie hat sich der versprochene, sichere Aufenthaltsstatus in einen Schwebezustand verwandelt.

Anträge von Flüchtlingen aus Staaten, für die Abschiebestopp besteht, werden nach Erfahrung von Anwälten im Moment überhaupt nicht bearbeitet. „Da in Kürze eine generelle Weisung erfolgt, sind diese Vorgänge zur Seite zu legen, eine Aufenthaltserlaubnis ist nicht zu erteilen“, heißt es aus der Behörde. Viele Anwälte sehen sich zur Zeit außerstande, ihren Mandanten verbindliche Auskünfte zu erteilen. „Das ist ein unhaltbarer Zustand“, meint Rechtsanwalt Dieter Kierzynowski.

Das meint auch der ausländerpolitische Sprecher der SPD Eckhardt Barthel. Der rechnet in den „nächsten Tagen“ mit einer neuen Weisung aus dem Hause Pätzold, wobei inhaltliche Streitpunkte allerdings noch nicht geklärt sind. Unumstritten ist lediglich der erste Abschnitt der Weisung, wonach ehemalige AsylbewerberInnen, die seit über fünf Jahren hier leben, eine Aufenthaltserlaubnis erhalten.

Ob dagegen die sogenannten „Flüchtlinge ohne Rückkehrmöglichkeit“ - also Menschen aus Ländern und Regionen, die unter Abschiebestopp fallen - ebenfalls anstandslos eine Aufenthaltserlaubnis bekommen, ist noch unklar. Hier proklamiert die Ausländerbehörde entgegen dem ursprünglichen Weisungstext den „Vorrang des Asylverfahrens“. Flüchtlinge aus den Abschiebestoppländern Sri Lanka, Iran, Libanon oder Äthiopien, die eigentlich eine Aufenthaltserlaubnis erhalten müßten, würden dann auf das Asylverfahren verwiesen und somit in der Regel nach Westdeutschland verteilt. Wie die AL will auch Eckhardt Barthel an der ursprünglichen Version festhalten. Ob die Mehrheit in seiner Partei da mitspielt, ist allerdings fraglich.

Die AL sieht ihre Geduld mittlerweile über Gebühr strapaziert. Sollte bis Ende der Woche keine verbindliche und akzeptable Neufassung der Weisung vorliegen, will die Fraktionsvorsitzende Heidi Bischoff-Pflanz in der nächsten Woche einen Abschiebestopp für die entsprechenden Länder einzeln per Antrag im Abgeordnetenhaus durchsetzen. Unabhängig davon plant die AL, Flüchtlinge zur Ausländerbehörde wieder zu begleiten - sicher nicht nur zur seelischen Unterstützung.

anb

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