piwik no script img

Andrang vor Namibias Urnen

Hunderte stehen bei Sonnenaufgang Schlange vor den Wahllokalen / Bislang kaum Zwischenfälle / Schwarze Wähler, weiße Kontrolleure  ■  Von Hans Brandt

Ondangwa, Nordnamibia (taz) - Wenn um sechs Uhr die Sonne in Namibia aufgeht, stehen sie zu Hunderten Schlange: Alte, Mütter mit schreienden Kindern auf dem Rücken; junge Männer und Frauen in ihren besten Kleidern. Wenn die Sonnenstrahlen im rosa Morgengrauen durchbrechen, wird in Oniipa im Norden Namibias, dem Sitz der evangelischen Kirche im Owamboland, das Wahllokal eröffnet.

Nervös legen die südafrikanischen Wahlbeamten in einem Klassenzimmer der Missionsschule Stimmzettel, Umschläge und Wählerlisten zurecht, während ihnen Beobachter der „United Nations Transition Assistance Group“ (Untag) auf die Finger schauen. Als erster Wähler wird Bischof Kleopas Dumni höchstpersönlich durch das Gedränge an der Tür geleitet. In knallender Hitze harren die Wähler stundenlang aus. Von den rund 2.000 Leuten, die am Morgen warteten, können am ersten Tag nur 795 ihr Kreuzchen machen. So stehen auch am Mittwoch vor Sonnenaufgang wieder etwa 1.000 Schlange.

Die Szene wiederholt sich überall im Owamboland. „Es ist schwierig, die Leute von den Türen wegzuhalten“, sagt A.G.Visser, der für die Region zuständige südafrikanische Wahlbeamte. „Die Polizei versucht vor allem die Mengen zu kontrollieren.“ In Oshikuku wird ein kleines Kind im Gedränge zu Tode gedrückt. In einem anderen Wahllokal müssen die Leute nach ihrer Stimmabgabe durch die Fenster steigen, weil die Tür blockiert ist.

Die Aufregung über den seit April laufenden Unabhängigkeitsprozeß war in den letzten Wochen überall in Namibia auch im ehemaligen Kriegsgebiet im Norden des Landes merklich abgeklungen. Noch vor wenigen Wochen wurden jedem vorbeifahrenden Besucher an der Hauptstraße zwischen Oshivellu und dem Verwaltungssitz Oshakati erhobene Fäuste entgegengestreckt. Die Farben der südwestafrikanischen Volksorganisation Swapo - blau, rot und grün - waren überall zu sehen. Immerhin wurde während des 23 Jahre dauernden Krieges der Swapo gegen die südafrikanischen Besatzer jede Demonstration der Unterstützung der Swapo grausam bestraft. Inzwischen sind die Swapo-Fahnen auf den Dächern Routine geworden. Zu den paar Wahlveranstaltungen, die in den letzten Tagen noch stattfanden, kamen nur noch wenige Leute.

Die schier endlosen Schlangen vor den Wahllokalen beweisen aber, daß das politische Interesse nicht abgenommen hat. „Wir wollen jetzt endlich wählen“, sagt Albertina Itenge, eine fast 60jährige Lehrerin. „Wir haben lange auf diese Wahl gewartet. Nach der Wahl nach der Unabhängigkeit werde ich endlich einen richtigen Job in der Schule in meinem Heimatdorf haben.“ Als ich sie Ende Juni auf ihrer Rückreise aus dem Exil in Sambia nach Namibia begleitete, war sie voll überschwenglicher Zuversicht. „Die Unabhängigkeit wird allen Arbeit bringen, niemand wird mehr hungern müssen.“

Inzwischen hat sich ihr Optimismus etwas gemäßigt. Vier Monate lang hat sie von Rationen der UNO gelebt und auf ihre Stelle als Lehrerin gewartet. „Ganz am Anfang hat jeder Rückkehrer, ob Kind oder Erwachsener, zehn Rand (etwa sieben Mark) bekommen“, klagt sie. „Seitdem haben wir kein Geld mehr.“ Und Arbeit haben die meisten auch nicht. Sie sind von den Rationen und ihren ohnehin schon armen Verwandten abhängig. Dennoch gibt Frau Itenge mit Zuversicht der Swapo ihre Stimme. „Wir haben lange gegen die Kolonialisten gekämpft“, sagt sie. „Jetzt werden wir endlich von ihnen befreit sein.“

Oberflächlich findet auch diese Wahl nach kolonialem Muster statt. Die Wahlbeamten sind fast ausschließlich Weiße, die mit paternalistischer Geduld den schwarzen Wählern ihre Rechte und Pflichten erklären. Und als der südafrikanische Generalverwalter Louis Pienaar in seinem Lear Jet zu einer Stippvisite auf dem Militärflughafen von Ondangwa landet, wird er noch immer wie der König von seinen Leuten empfangen. Doch die Brüche seiner Macht sind nicht zu übersehen.

Seine Wahlbeamten werden von Untag-Beobachtern überwacht. Der Luftwaffenoberst, der Pienaar empfängt, ist nicht mehr Befehlsführer hier. Das Amt hat ein Malaysier mit blauer Uno -Mütze übernommen. Der Leibwächter mit dunkler Brille, die paar weißen Beamten, die Pienaar-Begleiter und die Handvoll südafrikanischer Soldaten in Zivil, die sein Flugzeug warten, bilden eine letzte entmachtete Enklave im Kriegsgebiet, wo 23 Jahre lang ihr Wort Gesetz war.

Die Angst in der Bevölkerung ist trotzdem noch präsent. Es fällt auf, daß keine WählerInnen in den langen Schlangen Swapo-Farben tragen. „Wenn wir die Swapo-Farben tragen, dann weiß jeder, welcher Partei wir unsere Stimme geben“, erklärt die 18jährige Matrida Lukas in Engela einer Missionsstation knapp zehn Kilometer südlich der Grenze zu Angola. Hier war der Krieg mit allen Grausamkeiten täglich präsent. „Es gibt noch immer Leute, die uns dafür zusammenschlagen oder ermorden würden.“

Die Südafrikaner haben ohnehin, wie erwartet, dreckige Finger im Spiel. Am Vorabend der Wahl wurden aus Hubschraubern Flugblätter im Norden abgeworfen. Eines kam angeblich von der Swapo-Führung und rief die Bevölkerung dazu auf, nur Donnerstag und Freitag zu wählen. Offenbar sollte das Gedränge noch maximiert werden, um zu verhindern, daß viele Wähler bis Ende der Wahl am Samstag abend ihre Stimme abgeben konnten.

Die Wahl selbst läuft nicht ohne Probleme. Ein Wahlteam verirrte sich im Busch und mußte per Hubschrauber aufgespürt werden. Der große Andrang überraschte die südafrikanischen Beamten, so daß ihnen Stimmzettel und Wahlurnen im Laufe des Tages ausgingen, und dringend zusätzliche Materialien herangeschafft werden mußten. Untag gab die Wahllokale erst am Montag offiziell bekannt. Und die Wahlteams, die eigentlich regelmäßig mit Lebensmitteln versorgt werden sollen, sitzen zum Teil ohne genügend Wasser und Essen irgendwo im Busch. Viele beschweren sich auch über ihre Unterkunft.

Nach bisher noch nicht von Untag bestätigten Berichten sollen auch Mitglieder der von Südafrika unterstützten Turnhallen-Allianz (DTA) zusammen mit Unita-Rebellen Angolaner - zum Teil unter Androhung von Waffengewalt - dazu zwingen, den Okavango-Fluß zu überqueren, damit sie mit ihrer Stimme die Swapo-Opposition stärken.

Claus Voller, der im auswärtigen Amt für Uno -Angelegenheiten zuständige Diplomat, beurteilt den Wahlvorgang nach dem ersten Tag positiv. „Die Wahl als solche läuft gut.“ Das meinen übereinstimmend auch die Gruppen von unabhängigen Beobachtern, die am ersten Abend im Hotel in Oshakati ihre Köpfe zusammenstecken. Die internationalen Juristen konnten bislang keine ernsten Mängel feststellen. Und die kirchlichen Beobachter sehen sogar Anlaß zu blumigen Worten. „Das ist ein beeindruckendes Erlebnis“, schwärmt ein Geistlicher aus Indine. „Hier wird förmlich das unabhängige Namibia mit Hilfe der ganzen Welt aus der Wiege gehoben.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen