: „Die weibliche Hälfte wahrnehmen“
Wissenschaftlerinnen aus der DDR fordern die Quotierung und eine selbständige Frauenbewegung. Ihre an das ZK der SED gerichtete „Stellungnahme zur Frauenfrage“ veröffentlichte diese Woche die 'Berliner Zeitung‘. ■ D o k u m e n t a t i o n
„Geht die Erneuerung an uns Frauen vorbei?
In dem jetzt in Gang gekommenen Dialog spielen die Interessen von Frauen bislang keine Rolle. In unserer Gesellschaft existiert kein öffentliches Bewußtsein über die reale Lage der Frauen und ihres weitgehenden Ausschlusses aus den wichtigsten Entscheidungsbereichen der staatlichen und politischen Macht. Reformen werden nur dann Erfolg haben, wenn die Interessen der weiblichen Hälfte unserer Gesellschaft wahrgenommen und berücksichtigt werden. Das müssen in erster Linie Frauen selbst in Gang bringen und mit allen gemeinsam durchsetzten. Dazu bedarf es konkreter Interessenvertretungen, demokratischer Organisationsformen und -strukturen, die den Frauen Macht- und Entscheidungsbefugnisse geben.
Wir fordern, daß auf dem anstehenden Plenum des Zentralkomitees der SED diese Fragen auf die Tagesordnung kommen und bei der konzeptionellen Vorbereitung des XII.Parteitages der SED wie auch bei der Veränderung politischer und staatlicher Strukturen grundsätzlich mitgedacht werden.
Auf der Grundlage der bereits geschaffenen Bedingungen für Frauen stehen unseres Erachtens kurzfristig folgende Aufgaben zur Entscheidung an:
-Quotierung, das heißt gleiche Anteile von Frau und Mann an Funktionen und Ämtern in Staat, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft und Schaffung entsprechender Arbeits- und Lebensbedingungen;
-Umgestaltung im Staatsapparat, in Parteien, in der Gewerkschaft und den gesellschaftlichen Organisationen in der Weise, daß spezielle Bedingungen, Bedürfnisse und Interessen von Frauen artikuliert und durchgesetzt werden können, zum Beispiel durch Frauenabteilungen und -kommissionen mit entsprechenden Macht- und Entscheidungsbefugnissen;
-Neuprofilierung des DFD und/oder Zulassung einer selbständigen Frauenbewegung, die die Interessen der Frauen in allen Bereichen ihres Lebens erfaßt;
-Bildung eines Ausschusses für Frauenfragen in der Volkskammer und eines Gremiums auf höchster Regierungsebene;
-Förderung der Aktivitäten von Frauen, sich eigene Lebensräume zu schaffen (Medien, Klubs u.ä.);
-der vorrangigen Zuschreibung der Familienaufgaben an Frauen ist durch Orientierung auf Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Elternschaft und Änderung der entsprechenden sozialpolitischen Maßnahmen, die Väter bisher nur bedingt daran beteiligten, entgegenzuwirken;
-Das System der Dienstleistungen und Versorgung, der Kinderbetreuung und des öffentlichen Nahverkehrs ist qualitativ zu verbessern, und territoriale Unterschiede sind abzubauen.
Wir sind bereit, unsere Vorstellungen, die Ergebnisse unserer wissenschaftlichen Arbeiten und unsere Vorschläge öffentlich zur Diskussion zu stellen.“
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