: Hamburgs Regierender pokert wieder hoch
Erbitterter Machtkampf in der Hamburger SPD / Auf dem heutigen Parteitag kandidieren zwei Frauen für das Amt der Parteivorsitzenden / Nach der Kampfabstimmung: Wirft der jähzornige Voscherau das Handtuch? ■ Aus Hamburg Axel Kintzinger
Wenn Henning Voscherau in kleinem Kreise von seinem derzeitigen Beruf spricht, verwendet er gerne den Begriff „Scheiß-Job“. Eine hysterische Lokalpresse, der ewig quengelnde Koalitionspartner und die ständigen Querschüsse aus der eigenen Partei, der SPD, machen dem Hamburger Bürgermeister zu schaffen. Das Regieren hatte sich der gutverdienende Notar, der im vergangenen Jahr für den zurückgetretenen Klaus von Dohnanyi in die Bresche gesprungen war, anders vorgestellt. Weil er die Medien weder abschaffen noch ändern kann und wahlarithmetisch keine Alternative zur Koalition mit der FDP in Sicht ist, versucht er jetzt, wenigstens in seiner eigenen Partei aufzuräumen. Derzeit bemüht sich Voscherau, die Hamburger SPD-Vorsitzende Traute Müller „abzusägen“. Heute abend soll es soweit sein: Bei den Wahlen zum neuen SPD-Vorstand wird es zu einer Kampfabstimmung kommen.
Voscherau überlegte wochenlang, selbst gegen die zum linken Parteiflügel zählende, erst ein Jahr amtierende Frau Müller anzutreten, fürchtete aber einen erheblichen Imageverlust. Denn: der ansonsten rückständigste SPD-Landesverband der Republik brüstete sich im vergangenen Sommer damit, als erster eine Frau an die Spitze gewählt zu haben. Zum ersten Mal in der Geschichte der Hamburger SPD soll nun der Parteivorsitzende weggeputscht werden - und das ausgerechnet bei der ersten Frau. Voscherau wirft Traute Müller vor, sie habe nicht immer die von der Gesamtpartei erarbeiteten Positionen vertreten und die Partei falle ihm in den Rücken. Doch Verfehlungen dieser Art sind Traute Müller kaum nachzuweisen. Tatsächlich ist es wohl eher ein Interview, in dem Frau Müller die Räumung der Hafenstraße als „Niederlage für die politische Kultur“ bezeichnet hatte, das der Law-and -order-Mann Voscherau ihr heute noch übel nimmt. Und mit ihm die arg rechtslastigen, mitgliederstarken Kreisverbände aus Wandsbek und Hamburg-Mitte. Sie mochten die frühere Stamokap -Anhängerin Müller ohnehin nie und hatte ihre Nominierung zähneknirschend nur deswegen in Kauf genommen, weil der Parteivorsitz traditionell dem kleinen linken Parteiflügel zusteht. Die wichtigeren Positionen - Bürgermeisteramt, zentrale Senatsposten und Fraktionsvorsitz - hat die Parteirechte inne.
Dieses lange gepflegte innerparteiliche Gleichgewicht ist Voscherau nun nicht mehr so wichtig. Besonders wegen der erstarkenden „Republikaner“, die wohl auch bei der SPD -Stammwählerschaft kräftig wildern dürften, drängt der Regierungschef auf eine geschlossenere Partei. Allerdings hatte er versucht, einen „loyaleren“ Vertreter der Parteilinken zu finden - erfolglos. Niemand wollte Traute Müller in den Rücken fallen, wenngleich auch in ihrer politischen Heimat Unmut aufgekommen ist wegen ihres sozialpädagogischen Habitus und ihr „irgendwie unheimlich betroffen“ auch in diesem Parteiflügel nicht mehr so gerne gehört wird.
Also mußte ein rechter Gegenkandidat her. Und das durfte nur eine Frau sein. Die Wahl fiel, mangels Alternative, leicht. Eva Leithäuser, früher Leiterin der Oberpostdirektion und Ex-Justizsenatorin. Leithäuser, die 1986 wegen der Morde des Werner Pinzners im Polizeihochhaus zurücktreten mußte, ist Gefolgsfrau Henning Voscheraus. Dennoch ist ihr die Mehrheit nicht sicher. Zum einen verfügt die SPD-Rechte nach den jüngsten Organisationswahlen nicht mehr über den gewohnt großen Vorsprung vor den Linken, zum anderen wollen auch von ihnen einige ihre Stimme für Eva Leithäuser verweigern: Das Vorgehen Voscheraus wird auch dort als menschlich nicht korrekt empfunden.
Jetzt stellt sich in Hamburg die Frage, ob Voscherau sein politisches Amt an den Erfolg seiner Kandidatin knüpft. Derzeit wird alles für möglich gehalten - vor allem, daß der als jähzornig bekannte Bürgermeister nach einer Niederlage Leithäusers keinen Bock mehr hat auf den „Scheiß-Job“. Voscherau pokert mal wieder hoch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen