: IGM: Mehr „Zeitsouveränität“
■ Im Bezirk Stuttgart fordert die Gewerkschaft acht bis neun Prozent mehr Lohn, die 35-Stunden-Woche als Normalarbeitszeit und mehr „Zeitsouveränität“
Stuttgart/Berlin (taz) - In der bundesdeutschen Metallindustrie liegen nun die ersten Forderungen der IG Metall für die Tarifrunde '90 auf dem Tisch. Wer viel leistet, hat auch mehr Lohn und mehr Freizeit verdient, sagten sich die Metaller im Bezirk Stuttgart und langten zu: Acht bis neun Prozent mehr Lohn soll es geben, die 35 -Stunden-Woche als „Normalarbeitszeit“ und freie Wochenenden.
Zum ersten Mal greift die Gewerkschaft auch eine Flexibilisierung der Arbeitszeit auf: Die Stuttgarter Metaller verlangen „mehr Zeitsouveränität“ im „Interesse der Beschäftigten“, wie Bezirksleiter Walter Riester erklärte. Dabei sollen Eltern ein siebenjähriger Erziehungsurlaub und individuelle Entscheidung über Beginn und Ende der Arbeitszeit eingeräumt werden. Es sollen den einzelnen Beschäftigten weitreichende Wahlmöglichkeiten bei Verteilung der Arbeitszeit erhalten. Durch diese Regelungen wird es möglich sein, daß die Arbeitszeit auch ungleichmäßig innerhalb der Woche und darüber hinaus eingeteilt werden kann, soweit sie den Arbeitszeitrahmen von acht Stunden täglich und 40 Stunden wöchentlich nicht überschreitet. Zudem könnten die Beschäftigten ihre „Normalarbeitszeit“ von 35 Wochenstunden mit Teilzeitarbeit „nach unten“ reduzieren. Das von der Großen Tarifkommission vorgeschlagene Forderungspaket wird in den nächsten Tagen von den rund eine Million Metall-Beschäftigten im Bezirk diskutiert und soll Ende des Monats abgesegnet werden. Die Stuttgarter Bezirksleitung wird die anstehende Tarifrunde wieder eröffnen. Der erste Termin steht schon: Am 14.Januar wird mit den Unternehmern in Sindelfingen verhandelt. In Europa laufen die bundesdeutschen Maschinen am längsten, und bei der tatsächlichen Arbeitszeit aller Beschäftigten hält die Bundesrepublik innerhalb der EG einen Mittelplatz. Zu diesem Ergebnis kommt eine von der IG Metall in Auftrag gegebene Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts des DGB über Betriebs- und Arbeitszeiten in Europa. Die IG Metall ziehe daraus den Schluß, daß die 35 -Stunden-Woche die künftige Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Metallindustrie nicht beeinträchtigen werde, erklärte der 2.Vorsitzende Klaus Zwickel bei der Vorstellung der Untersuchung am Dienstag in Frankfurt.
Damit wird das Argument der Arbeitgeberverbände widerlegt, daß die Arbeits- und Betriebsnutzungszeiten in der BRD zu kurz und zu unflexibel seien. Im verarbeitenden Gewerbe beispielsweise liefen die Maschinen in der Bundesrepublik im Durchschnitt 60,6 Stunden in der Woche, in Frankreich hingegen nur 46,3 Stunden.
es/Gs
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