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Verkrampfte Konsequenz

■ Die „Missfits“ revoluzzten im Freiraum-Theater

„Die Liebe ist ein primitives Ideal“. Und was Sex angeht, gehört der staatlich kontrolliert. Unermüdlich predigen es Aurora und Hildegart. Immerhin spendet die frühschoppende Herrenriege Schimpf und Spott. Für Aurora und Hildegart, die Sexualitäts-Revolutionärinnen, ein Grund mehr, Kastration als Utopie zu verkünden. Nicht länger sollen brünstige Männer und quäkende Bälger die optimale Entfaltung der Frau verhindern können. Absolut unabhängig soll das weibliche Geschlecht werden.

Wie Hildegart, das Wunschkind: Mit 17 Jahren hatte sie bereits ein Jura-Studium, sowie diverse Buchveröffentlichungen zu Sexualität und Geburtenkontrolle fertiggebracht. Aurora, ihre Mutter, kann zufrieden sein. Schließlich ist Super-Hilde ihr Erziehungswerk, für das sie kein Opfer scheute. Nichtmal vor der kurzfristigen Kopulation mit einem „physiognomischen Mitarbeiter“ zwecks Wunschkind-Zeugung ist sie zurückgeschreckt.

Das Engagement zahlt sich aus, denn schon bald plappert das Töchterchen vernünftig nach, was ihr die Mama einhaucht. Ohne Gefühlszuwendung züchtet Aurora also eine Intelligenzbestie, die leider lebendig zu werden

droht. Hildegart spürt plötzlich Regungen, die kein Buch beantworten kann und bittet ihre Mama-Maschine „Schalt mich aus!“. Aurora wittert Aufstand und erschießt ihr gescheitertes Werk, als es schläft. Hat die Revolution da mal wieder ihre Kinder gefressen, oder wars die Tat einer Wahnsinnigen?

Das Frauentheater „Missfits“ aus Oberhausen gab im vollbesetzten „Freiraum“ Raum zur Spekulation. Ihr Stück „Das Wunschkind“ (basierend auf der Erzählung „Auroras Anlaß“ von Erich Hackel) hat zwei Teile. Im ersten wird die authentische Geschichte der Frauenrechtlerin Aurora Rodriguez, die 1933 ihre Tochter Hildegart erschoß, auch mit Originalzitaten nachgespielt. Den zweiten Teil nimmt dagegen eine fiktive Gerichtsverhandlung ein, in der Hildegart sowohl den Part der Anklage, als auch den der Zeugen und Richter übernimmt.

Die Atemlosigkeit, mit der Gerburg Jahnke als Aurora sowie Stefanie Überall als Hildegart in die erste Szene stürmten, übertrug sich nur zeitweilig aufs Publikum. Zu langatmig gerieten die ersten Szenen voll Schwermut-Poesie, bevor Anarchismus-und Kastrationsutopien als leere Schlagwörter ins Publikum

plumpsten. Ganz anders dagegen der zweite Teil, in dem die Schauspielerinnen ihre Version darboten. Denn plötzlich war zu sehen, was die Missfits nach eigenen Angaben an diesen Frauen fasziniert hat: Die Konsequenz und deren tragische Notwendigkeit. Elke Webe

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