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Die Senatorin fühlt sich frisch verliebt

■ Interview mit Al-Umweltsenatorin Schreyer / Die Mauer darf nicht durch eine ökologische Barriere ersetzt werden / Koalitionsvereinbarung muß überprüft werden / Senat braucht mehr Spielraum für Verhandlungen mit der DDR

Berlin ist offene Stadt. Die taz sprach gestern mit Umweltsenatorin Schreyer (AL-nah) über die Konsequenzen für die Stadtpolitik.

taz: Was war denn dein erster Gedanke, als du gestern erfahren hast, daß die Grenzen offen sind?

Schreyer: Fantastisch, habe ich gedacht, daß die Menschen jetzt so einfach rüberkommen können. Im Augenblick bin ich in einer Stimmung, wie frisch verliebt.

Bis jetzt, im Windschatten der Mauer, war West-Berlin ja ein relativ idyllisches Plätzchen. Nun, mit offenen Grenzen, entwickelt es sich zu einer regelrechten Großstadt mit der entsprechenden Entwicklungsdynamik. Das heißt, daß sich die Umweltprobleme verschärfen, daß die Stadt unregierbarer wird. Macht das einer Umweltsenatorin nicht Sorgen?

Die Planungen und die Koalitionsvereinbarungen hatten das Ziel, Berlin zu einer Modellstadt für den ökologischen Stadtumbau zu machen - unter der Maßgabe der Mauer. Wir müssen jetzt überdenken, inwieweit wir dieses Ziel des ökologischen Stadtumbaus unter den neuen Bedingungen aufrechterhalten können. Es haben sich ja in Berlin in der Tat sehr viele ökologische Nischen etablieren können. Jetzt gibt es in vielen grenznahen Bereichen mehr Autoverkehr, und das gleiche wird überall dort passieren, wo wir neue Grenzübergänge bekommen.

Aber die Fragen der umweltfreundlichen Verkehrsmittel und der Grünflächenversorgung sind dadurch nicht alle obsolet geworden. Sie gewinnen an Wichtigkeit. Nur dürfen wir jetzt nicht anfangen, eine Mauer in unseren Köpfen zu bauen, auch keine „ökologische Mauer“. Die neue Situation bringt auch für die Stadtentwicklungs- und Umweltschutzpolitik neue Chancen mit sich.

Muß jetzt nicht in der Verkehrspolitik der Schwerpunkt zunächst darauf gelegt werden, die U- und S-Bahnlinien zwischen Ost und West rasch wieder zu verknüpfen, anstelle sich auf das Westberliner Netz zu konzentrieren? Muß nicht ganz rasch die U-Bahnlinie, die bis zum Mauerbau die beiden Stadtzentren verbunden hat, zwischen Wittenbergplatz und Otto-Grotewohl-Straße wieder hergestellt werden?

Für die aktuelle Situation sieht das Konzept der BVG ohnehin schon vor, daß die Linien in den Außenbezirken etwas verdünnt werden, um im innerstädtischen Bereich die Busse und das Personal verstärkt einsetzen zu können. Und natürlich muß so schnell wie möglich die U-Bahnstrecke zwischen dem Potsdamer Platz an der Grenze und der Westberliner Innenstadt wiederhergestellt werden. Es gibt andererseits Projekte, die noch mit Blick auf das eingemauerte West-Berlin konzipiert worden waren und die nun unter neuen Gesichtspunkten geprüft und möglicherweise überarbeitet werden müssen. Das gilt zum Beispiel für die Planung des Übergangs Schichauweg.

Noch in der Nacht versammelte sich der Senat zu einer Sondersitzung. Müßte er sich nicht statt dessen - überspitzt gefragt - mindestens eine Woche vom täglichen Verwaltungsgeschäft zurückziehen und nachdenken, was die neue Situation für die Stadt bedeutet?

Genau das geht natürlich nicht, weil das Verwaltungsgeschäft auch gefordert ist. Aber es hat sich natürlich gezeigt, daß die Überlegungen, die wir im Senat angestellt haben, durch die wahnsinnig schnelle Entwicklung immer nach ein paar Stunden schon überholt waren.

Du freust dich über die Menschen, die kommen. Hast du als Umweltsenatorin nicht Angst vor den vielen tausend knatternden Wartburgs und Trabis?

Ich denke erst mal daran, wie fantastisch das für die Menschen ist. Daß das viele technische, administrative Probleme mit sich bringt, ist zwar auch klar. Aber das ist nicht das Hauptrangige.

Aber vor dir auf dem Tisch liegt eine „Trabi-Regelung“ für die Smogverordnung...

Ja, diese „Trabi-Regelung“ haben wir uns natürlich schon vor dem gestrigen Tag überlegt - seit absehbar war, daß sehr schnell eine Besuchsregelung kommt. Es ist wichtig, daß im Falle eines Smogalarms nicht eine Situation entsteht, in der die West-Berliner PKWs ohne Katalysator nicht mehr fahren dürfen, während das den Trabis weiterhin erlaubt ist.

...Was ja nach der derzeitigen Smogregelung möglich wäre, weil der grenzüberschreitende Verkehr vom Fahrverbot ausgenommen ist...

Ja. Und das ist natürlich nicht wünschbar. Den Besuchern aus der DDR ist es ebenso wie den West-Berlinern zumutbar, daß sie auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen - zumindest beim Besucherverkehr, der aus dem relativ nahen Umkreis von West-Berlin kommt. Das gehört zur Normalisierung.

Birgt das nicht die Gefahr des Öko-Kolonialismus? Westberliner können sich mit dem Einbau eines Katalysators vom Fahrverbot befreien, mit Ostberliner Zweitaktern geht das nicht.

Eine völlige Angleichung der ökologischen Maßstäbe kann es in nächster Zeit natürlich nicht geben. Aber speziell beim Autoverkehr müssen sich die Regeln ganz schnell annähern. Es darf nicht dazu kommen, daß hier alle Trabis bei Smog fahren können. Aber es darf auch nicht passieren, daß Autofahrer ohne Katalysator bei Smog von hier nach Ost-Berlin ausweichen und dort wild herum fahren. Das Fahrverbot in Ost -Berlin tritt ja erst bei höheren Smogwerten in Kraft als in West-Berlin.

Unsere Aufmerksamkeit wird jetzt mehr als je zuvor auf die Probleme in Ost-Berlin gelenkt, beispielsweise auf die katastrophale Personalsituation in den Krankenhäusern. Menschen, die dort arbeiten, erzählen, daß der Betrieb dort spätestens zu Weihnachten vollkommen zusammenbrechen wird. Muß der Westberliner Senat jetzt nicht eigene, vergleichsweise luxuriöse Vorhaben zurückstellen, um in Ost -Berlin zu helfen?

Wir haben da noch kein Konzept, aber ich halte das für ganz zentral. Es darf nicht dazu kommen, daß in der DDR die Versorgung in vielen Bereichen zusammenbricht. Allein daraus könnte ja auch ein Druck entstehen, auszuwandern. Es ist deshalb völlig richtig, zu überlegen, inwieweit von westlicher Seite Hilfe kommen kann. Ellis Huber, der Ärztekammerpräsident, hat ja schon vorgeschlagen, arbeitslose Ärzte drüben einzusetzen. Das ist ein kleiner Punkt.

Der ehemalige DDR-Umweltminister Reichelt hatte dir ja erst kürzlich ein Treffen angeboten. Seit Dienstag ist er nicht mehr im Amt. Wird das Gespräch trotzdem stattfinden, mit Reichelts Nachfolger?

Ein solches Angebot hatte es leider noch nicht gegeben, obwohl ich meinen Gesprächswunsch oft genug geäußert habe. Aber es ist dringend notwendig, daß so ein Gespräch stattfindet. Und wir brauchen als Berliner Senat mehr Spielraum. Zur Zeit braucht der Berliner Senat vor Verhandlungen mit der DDR stets die Erlaubnis der Bundesregierung und der Alliierten. Wir müssen jetzt mit beiden darüber sprechen, wieweit die bisherigen engen Abgrenzungen der Verhandlungsmandate nicht erweitert werden können.

Seit du im Amt bist, gab es noch kein Treffen zwischen dir und unabhängigen Umweltschutzgruppen in Ost-Berlin. Warum nicht?

Ein von mir gewünschtes Treffen mit Reichelt war bisher schon allein daran gescheitert, daß ich den Wunsch hatte, mir gleichzeitig die Deponie in Vorketzin anzusehen. Ich hoffe, daß das nun kein Hinderungsgrund mehr ist. Und ich denke, daß auch ein Treffen mit Umweltgruppen nicht mehr als Restriktion für Gespräche gewertet wird.

hmt

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