: In Ost und West sind alle baff
■ Öffnung der Grenzen zwischen DDR und BRD ist Top-Meldung rund um die Welt / Supermächte zeigen sich vorsichtig optimistisch / Busch will bei der bevorstehenden Seepartie mit Gorbatschow noch mal kungeln
Berlin (dpa/taz) - Weltweit ziehen die Ereignisse in Berlin die Menschen in ihren Bann. Seit Tagen schon berichten die US-Medien über das immer wieder als „atemberaubend“ beschriebene Tempo des Wechselspiels aus Massenprotesten und Reformversuchen der Regierung in der DDR. Die Nacht der offenen Grenze konnten Millionen von Fernsehzuschauern am Bildschirm live miterleben.
Ausführlich und an prominenter Stelle hatten auch die sowjetischen Massenmedien berichtet. In Moskau waren bis Freitag morgen zwar wenige Bürger wirklich handfest informiert, bei Umfragen westlicher Reporter waren die Einschätzungen jedoch übereinstimmend begeistert: „Wunderbar, ganz hervorragend!“ Welche Hoffnungen und Wünsche bei der deutsch-deutschen Grenzöffnung freigesetzt werden, zeigten Anmeldungen wie: „Grenzen sollten auch für uns offen sein“, wobei sogar ein Bewegungsradius, der „ganz Europa“ hieß, gefordert wurde.
Diplomatisch gemäßigter sind die Stellungnahmen der ausnahmslos von der Dynamik überraschten Regierungen. Die Sowjetunion will zur Zeit weder eine Aufweichung der beiden Militärblöcke in Europa, noch befürwortet sie eine deutsche Wiedervereinigung. Dafür nimmt sie in Kauf, daß es innerhalb des Warschauer Pakts künftig Länder mit nichtkommunistischen Regierungen gibt. Als eine „zum jetzigen Zeitpunkt rein intellektuelle Übung“ bezeichnete der Sprecher des sowjetischen Außenministeriums Gennadi Gerassimow am Donnerstag in Moskau Spekulationen über eine Wiedervereinigung der Bundesrepublik und der DDR. Betont gelassen zeigte sich der Sprecher über die Möglichkeit eines Scheiterns der SED. Die „Regierungen können wechseln, doch die internationalen Verpflichtungen bleiben“. Die sowjetischen Soldaten blieben solange in der DDR stationiert wie die Truppen des westlichen Bündnisses in der Bundesrepublik. Kurz zuvor hatte Gerassimow an den Vorschlag des Warschauer Pakts erinnert, daß beide Militärbündnisse nur gleichzeitig aufgelöst werden könnten.
US-Präsident George Bush begrüßte die Öffnung der DDR -Grenze, beobachtet aber auch mit Vorsicht die Fortschritte der DDR in Richtung Demokratie. „Niemand weiß, was demnächst passieren wird“, sagte er in der Nacht zum Freitag und fügte hinzu: „Aber es läuft in unsere Richtung.“ Die Grenzöffnung nannte der Präsident „ein dramatisches Ereignis“. Nach den Worten des Präsidenten wird die Entwicklung der DDR an vorderster Stelle auf der Tagesordnung seines Treffens mit dem sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow Anfang Dezember im Mittelmeer stehen.
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