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„Kommunisten per Termin mit Null“

Die neue Freiheit beschert den Börsen grenzenlose Sprünge über die Wolken / Kaufhauswerte und auch Aktien von Telekommunikationskonzernen Profiteure der „Peace-rallye“  ■  Von McCash Flow

Die Ereignisse um die deutsch-deutsche Grenze haben dem seit Wochen eher lethargischen Aktienmarkt neues Leben eingehaucht, nicht nur an den bundesdeutschen Börsen, sondern auch in New York, Tokio und London. In Wallstreet ist von einer „Peace-rallye“ die Rede, der „German Fund“, ein Fond mit Aktien deutscher Großunternehmen, legte allein am Freitag um über 20 Prozent zu, die Nachricht über den Kaufrausch der DDR-Besucher ließ die Papiere des Discounters „Woolworth“ haussieren. Auch in London herrschte Nachfrage für deutsche Blue chips, ein Broker, den die Bilder vom Mauerdurchbruch am Telefon erwischten, wird zitiert: „Wir handeln die Kommunisten jetzt per Termin mit Null, wenn das kommunistische System kapituliert, steigt der 'FAZ'-Index auf 2.000 Punkte.“ In Frankfurt bescherten die deutsch -deutschen Perspektiven vor allem der Baubranche, ohnehin schon die größten Kursprofiteure der letzten Monate, heftige Kursgewinne: Bilfinger & Berger, Holzmann und andere Großbaulöwen legten teilweise bis zu 80 Mark zu, Fertighaushersteller wie Kampa und Bauzulieferer wie die „Deutschen Linoleum Werke“ gerieten ebenfalls in den Sog des erwarteten Baubooms. Neben den Kaufhaus-Titeln, deren Weihnachtsumsätze dank der DDR-Kundschaft ins Gigantische wachsen könnten, zählten auch Titel wie „Salamander“ zu den großen Favoriten, von denen man eine schnelle Mark mit kalten DDR-Füßen erwartet. Die völlig überraschende und für die Zukunft kaum kalkulierbare Situation in Deutschland öffnet den Spekulationsideen Tür und Tor: Schon werden von den Börsen-Tip-Diensten die ersten Friedensgewinnler annonciert, wie etwa die Berliner Bank und die Versorgungsbetriebe Bewag und Fernheizwerk Neukölln, deren Zähler angesichts der rund um die Uhr illuminierten und beheizten Metropole nur so klickten.

Weiter voraus blickende Investoren überlegen bereits, welchen bundesdeutschen Großunternehmen die Modernisierung des Verkehrs- und Kommunikationsnetzes in der DDR zufallen könnte und welche Finanzinstitutionen ihren Reibach an dem riesigen Kreditaufkommen machen werden, das eine Wirtschaftsreform in der DDR mit sich brächte. Die Aktien der „Deutschen Bank“ jedenfalls konnten am Montag deutlich (um 15 D-Mark) zulegen, und daß die „Dresdner Bank“ ebensostark anzog, lag sicher nicht nur an ihrem Namen. Neben den Favoriten der Vorwoche hat der deutsch-deutsche Boom am Montag den gesamten Aktienmarkt erfaßt, die meisten Standardpapiere konnten bei hohen Umsätzen meist zweistellige Kursgewinne verbuchen.

Offenbar angesteckt von der Adrenalinspritze für den Industrieriesen BRD zeigten sich zum Wochenbeginn auch die anderen Börsenplätze in Europa. Wie schnell es allerdings mit der Euphorie vorbeisein könnte - schließlich wurde die „Zone“ seinerzeit aus ökonomischen, währungspolitischen Gründen befestigt und letztlich ummauert -, belegt ein Meldung der 'FAZ‘ vom Finanzmarkt in der Schweiz: Von „spekulativen Kreisen“ sollen in den letzten Tagen Millionenbeträge an Ost-Mark gekauft worden sein - man rechne damit, daß angesichts der in absehbarer Zeit unerläßlichen Kontrollen die DDR-Währung wieder knapper wird und im Kurs von derzeit 10 auf 15 bis 17 D-Mark (für 100) steigt.

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