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Furcht vor Ausverkauf in der DDR

■ Wissenschaftler fürchtet Entwicklungen wie vor dem Mauerbau: Arbeiten im Westen - wohnen und einkaufen im Osten / Ohne Westgeld Büger zweiter Klasse im eigenen Land / Paßentzug bei Schwarzarbeit? / Debatte über Währungsreform verärgert Ost-Berlin / Was könnte ein solcher Schnitt bringen?

Berlin (dpa) - Mit Öffnung der Grenzen geht in der DDR eine neue Furcht um: die Furcht vor einem Ausverkauf gegen harte D-Mark. „Wir haben zwei Schocks erlitten“, sagt etwa der Ostberliner Wissenschaftler Peter Krüger. Und er meint die Massenflucht von Zehntausenden von Arbeitskräften und die überraschende Öffnung der Grenzen vor wenigen Tagen. Beides hätte auf einen Schlag „die ungeheuere Verletzlichkeit“ der DDR-Volkswirtschaft deutlich gemacht - die schwache Währung. Wenn jetzt nicht gehandelt werde, bestehe „die Gefahr, daß die Volkswirtschaft kollabiere oder ganz schnell verblute“.

Das Hauptproblem, das zunehmend Politiker von Regierung und auch der Opposition umtreibt und dessen Lösung nicht in Sicht scheint, kann zu einer „tödlichen Wunde“ werden, wie es Krüger bei einer Diskussion an der Humboldt-Universität formulierte: Der Sog der D-Mark West, die nun leicht zu beschaffen sei. Denn durch die nahezu unkontrollierten offenen Grenzen könne man im Westen eine schnelle Mark durch Schwarzarbeit machen und im Osten „subventioniert wohnen, subventionierte Lebensmittel kaufen, sich kostenlos ausbilden und kostenlos medizinisch versorgen lassen“. Das schwarze Westgeld könne der siechen DDR-Wirtschaft den Rest geben. Es drohe ein „Kollaps der DDR-Währung“ durch Schiebereien und Spekulationen.

DDR-Mark darf nicht ausgeführt und die West-Mark nur begrenzt eingeführt werden. Doch tauschten nach Öffnung der Grenzen DDR-Bürger in Geschäften auf dem Kurfürstendamm in West-Berlin ungehindert ihre Währung zum Kurs 1:10. „Was in diesen Tagen an Währung aus unserem Land herausgeschafft wurde“, will Krüger erst gar nicht wissen. Und die Erinnerungen an die Zeit vor dem Mauerbau 1961 werden wieder laut: Damals arbeiteten zahllose „Grenzgänger“ im Westen gegen hartes Geld und lebten, wohnten und kauften zu Billigpreisen im Osten.

DDR-Bürger ohne Westgeld drohen nun noch stärker zur Bürgern zweiter Klasse in ihrem eigenen Land zu werden, wird befürchtet. Die Schiebereien, bisher schon gang und gäbe, könnten sich noch verschärfen. „Ich muß jetzt ein Jahr auf einen Termin für eine Inspektion meines Wagens warten“, klagt eine junge Ostberlinerin. „Hätte ich Westgeld, bekäme ich spätestens übermorgen einen.“

Gegen Westgeld ist in der DDR fast alles möglich: der Kauf eines Autos, auf das man sonst noch immer 15 Jahre warten muß, überhaupt der Kauf von Mangelwaren. Die Spekulation macht auch vor Grund und Boden nicht halt: Ein Grundstück offiziell für 3.500 Mark angeboten - sei für DDR-Bürger nur gegen einen Schwarzmarktpreis von mindestens dem Zehnfachen plus einem Batzen Westgeld zu haben.

Der Unmut wächst: „Unser Geld haben wir uns mit ehrlicher Arbeit im Betrieb verdient“, und es solle auch ehrlich ausgeben werden, klagt zum Beispiel eine Magdeburgerin im Parteiorgan 'Neues Deutschland‘. Sie und ihre Kolleginnnen und Kollegen erwarteten „so schnell wie möglich erste Schritte für Regelungen zum Schutz unserer Währung“.

Um die Dramatik zumindest zu entschärfen, haben die Rechtsanwälte der DDR im Entwurf für ein neues Reisegesetz auch den zeitweisen Paßentzug für diejenigen festgeschrieben, die ohne staatliche Genehmigung im Westen arbeiteten und im Osten lebten. Das allein reicht aber sicher nicht. „Erst nach einer langen und ausreichenden Gesundung der Volkswirtschaft kann unsere Mark anderen Währungen ebenbürtig sein“, weiß etwa das Blatt der Ost-CDU 'Neue Zeit‘.

Wissenschaftler wie Krüger fordern „drastische Schnitte in Produktions- und Verwaltungsstruktur“ und eine rasche Preis und Währungsreform. Man dürfe jetzt nicht warten nach dem Motto: „Mal sehen, wie lange die Kiste noch läuft.“ Er meint, „die Frage der Konvertierbarkeit der Währung ist praktisch längst entschieden“, täglich auf dem Kurfürstendamm.

Als „doch nicht so viel wie erwartet“ bezeichnete gestern ein Sprecher der Deutschen Bank die zum Wochenbeginn eingegangenen DDR-Mark. Das Kreditinstitut hatte noch am Samstag allen Kaufhäusern der Bundesrepublik zugesichert, am Montag die DDR-Mark zum Kurs von 1:10 anzunehmen. Viele Warenhäuser, aber auch kleinere Geschäfte vor allem in West -Berlin und in grenznahen Städten der Bundesrepublik hielten ihre Türen am Samstag bis in den späteren Nachmittag hinein geöffnet. Damit sollte den Besuchern aus der DDR Gelegenheit gegeben werden, ebenfalls zum Kurs von 1:10 mit ihrer Währung einzukaufen.

Peter Plötz, DDR-Experte des Hamburger HWWA -Wirtschaftsforschungsinstitutes, hält es nicht für ausgeschlossen, daß man in Ost-Berlin jetzt auch wieder verstärkt an eine Kreditaufnahme für Konsumgüterimporte aus dem Westen nachdenkt. Sie seien wohl nötig, um den Druck des gewaltigen Nachfrageüberhanges im Lande zu lindern. Die DDR sei dazu auch durchaus in der Lage, da ihre Kreditwürdigkeit nicht nur ungebrochen, sondern von 1987 auf 1988 nach dem Urteil westlicher Rating-Agenturen sogar gestiegen sei. Zur Zeit stehe die DDR unter allen Staaten an 28. Stelle, was das Vertrauen der internationalen Gläubiger angehe.

Die DDR war in letzter Zeit sehr vorsichtig in ihrer Kreditaufnahme und im Außenhandel. Zum ersten Mal seit 1981 hatte man auch erst im vergangenen Jahr wieder einen Importüberschuß zu verzeichnen. Seit mehreren Monaten verzichtet die DDR sogar auf die Nutzung eines kostenlosen Devisen-Kredits von der bundesdeutschen Zentralbank. Das Verrechnungskonto für den innerdeutschen Handel bei der Frankfurter Bundesbank weist seit mehreren Monaten entgegen allen früheren Erfahrungen kein DDR-Defizit mehr auf.

Unterdessen verstärkt sich in den Medien hüben wie drüben die Diskussion über eine anstehende Währungsreform in der DDR. In Ost-Berlin spricht man inzwischen gar davon, daß Bonn durch diese Gerüchte gezielt das Vertrauen in die DDR -Währung erschüttern wolle. Fachleute sind da auch eher gelassener. Nach Ansicht von Ökonom Plötz mache die Währungsreform zur Zeit überhaupt keinen Sinn, wenn nicht einmal durch strukturelle Veränderungen in der DDR das Angebot steige und zum anderen auch eine Preisreform durchgeführt werde. Eine Währungsreform steht in aller Regel immer dann an, wenn das Geld im Lande nichts mehr wert ist. Dann wird - zumeist über Nacht - der „Schnitt“ vollzogen: Die Geldbestände im Portemonnaie und auf dem Girokonto haben dann plötzlich nur noch den Bruchteil ihres ursprünglichen Wertes.

Die DDR weist zwar noch keine vierstelligen Inflationsraten auf wie andere Kandidaten für Währungsreformen - dauerhaft etwa Argentinien oder Brasilien. Das Problem der DDR liegt vielmehr in einem „inflationären Einkommensüberhang“: 142 Milliarden Mark schlummern auf den Konten, mangels lukrativen Angebotes. Sollte die DDR ihre eigene Währung in die Konvertibilität (freie Umtauschbarkeit) überführen, so könnten diese 142 Milliarden als plötzliches Angebot auf dem Devisenmarkt den Kurs der DDR-Mark gewaltig in den Keller treiben.

Nötig wäre nach dieser Lesart also einmal ein größeres Warenangebot und zum zweiten höhere Preise, so daß das zirkulierende Geld mit den Waren in einem vernünftigen Verhältnis steht. Nur dann macht eine Währungsreform einen Sinn.

Ulli Kulke

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