Bald Abschied von der Avantgarde?

■ DDR-Volkskammerpräsident fordert Ende der „führenden Rolle“ der SED / FDGB verzichtet schon

Berlin (afp/ap/taz) - Der neue DDR-Volkskammerpräsident Günther Maleuda (Bauernpartei) unterstützt eine Änderung des Artikels1 der DDR-Verfassung über die führende Rolle der SED - so am Dienstag die DDR-Nachrichtenagentur 'adn‘, ohne Einzelheiten seiner Äußerungen mitzuteilen. Diese Forderung war bereits am Vortag von mehreren Rednern in der Volkskammer erhoben worden.

In der neuen Satzung des DDR-Gewerkschaftsbundes FDGB wird der Führungsanspruch der SED „ganz sicher nicht“ enthalten sein. Das sagte die neue FDGB-Vorsitzende Annelis Kimmel am Dienstag vor Journalisten in Ost-Berlin. In der bisherigen Satzung war dieser Anspruch ausdrücklich anerkannt. Für die geplante Wirtschaftsreform in der DDR werde die Gewerkschaft eigene Vorstellungen entwickeln und mit dem neuen Ministerpräsidenten Modrow abstimmen, sagte Frau Kimmel.

Die starren Vorgaben in den Betrieben mit den Kennziffer -Festlegungen werde es sicher nicht mehr geben. Auch innergewerkschaftlich soll sich im FDGB einiges ändern: Die einzelnen Industriegewerkschaften sollen mehr Eigenständigkeit erhalten. In der Vergangenheit sei die Tarif- und Lohnpolitik den Einzelgewerkschaften „aus der Hand genommen worden“, meinte sie.

Unter dem Druck von 400.000 Demonstrierenden in vielen Städten der DDR hat das ZK der SED Montag nacht beschlossen, für den 15. bis 17.Dezember in Ost-Berlin einen außerordentlichen Parteitag abzuhalten. Damit wird die Möglichkeit frei, das gesamte ZK auszuwechseln und den Auftrag für eine Änderung des SED-Parteiprogramms zu erteilen. Bis zum 8.Dezember wird die Parteibasis Anträge an das ZK stellen können.

Der neugewählte Ministerpräsident Hans Modrow hat bis Samstag die Bildung einer Regierung der „kompetenten Leute“ angekündigt. Er möchte „eine echte Koalitionsregierung“ bilden, sagte Modrow, die am Freitag oder Samstag bei der nächsten Sitzung der Volkskammer gewählt werden wird.

Vor einem Ausverkauf der DDR hat der Vorsitzende der IGMetall, Franz Steinkühler, gewarnt. Der Gewerkschaftsvorsitzende sieht diese Gefahr auf zweifache Weise: Um ein paar Devisen zu ergattern, könnten DDR-Bürger, wie bereits Tausende von Polen, „alles, was nicht niet- und nagelfest ist“, im Westen verkaufen. Es sei denkbar, daß DDR -Bürger auch ihre Arbeitskraft in der Bundesrepublik verkauften, zum Beispiel an bundesdeutsche Verleihfirmen.

Das Neue Forum rief für Samstag zu einer neuen Kundgebung nach Leipzig auf. Hauptforderung solle die Aufhebung des SED -Führungsanspruchs sein, hieß es.