: DDR: „Ausplünderungsschlachten verhindern“
■ Landet die DDR-Wirtschaft in der Sackgasse? taz-Gespräch mit dem Bremer Professor für Wirtschaft, Rudolf Hickel
taz: Herr Hickel, alles freut sich über den politischen Aufbruch in der DDR. Gibt's auch ökonomisch Grund zur Freude, oder kommt die DDR jetzt in den Schlußverkaufs der BRD?
Rudolf Hickel: Es besteht in der Tat die Gefahr, daß die politischen Freiheiten ökonomisch in eine Sackgasse hineinlaufen. Man kann sich die politisch errungene Reisefreiheit wirtschaftlich gar nicht leisten kann, weil schlicht die Devisen fehlen. Wenn die Bundesregierung ihr bisheriges Gerede von der Selbstbestimmung der DDR ernst gemeint hat, dann müßte sie sofort erstens die DDR -Staatsbürgerschaft anerkennen und zweitens mit der Bundesbank den Devisenkurs, den Umtauschkurs West-gegen Ostmark politisch festlegen. Der Ostmark-Kurs liegt irgendwo bei 1:10. Wenn man die Ostmark auf dieser Basis frei konvertierbar machen würde, wäre das eine politische Katastrophe für die DDR und würde dem D-Mark-Imperialismus freien Lauf lassen.
Das heißt, man muß politisch wollen, daß alle, die jetzt in die Bundesrepublik einreisen, zu einem Kurs von 1:1 umtauschen können. Die 100 Mark Begrüßungsgeld gibt es nur einmal.
Aus eigener Kraft kann die DDR da nichts machen?
Nein, es gibt ja immer die großen Parolen „Krenz, rück die Devisen
raus“. Das geht praktisch in die Irre. Die DDR hat ja kaum Devisen, weil der innerdeutsche Handel bislang ja Ware gegen Ware oder Dienstleistungen gegen Dienstleistung gelaufen ist.
Was hindert mich jetzt eigentlich noch, mit meinen Westkröten die DDR-Regale völlig leerzukaufen? Ganz Westberlin macht Shopping auf dem Alex.
Wir können die aufkaufen zu Schwarzmarktkursen. Auch dafür muß der Wechselkurs politisch fixiert werden. Damit würden DDR-Produkte bewußt verteuert und solche Ausplünderungsschlachten verhindert.
Auch dagegen kann sich die DDR aus eigener Kraft nicht wehren?
Nein, nein. Ohne politische Fixierung der Kurse könnte sie da wenig machen. Das ist doch die gleiche Situation wie in der BRD nach dem Krieg. Da hat es ja auch lange Zeit eine politische Devisenbewirtsschaftung gegeben. Freie Wechselkurse kann man nur zulassen, wenn mann vergleichbare wirtschaftliche Niveaus voraussetzen kann. Was für uns damals die USA waren, muß für die DDR jetzt die Bundesrepublik sein. Nur: Die Leistungen dürfen nicht an politische Auflagen geknüpft werden. Sonst könnte das die zweite Niederlage der DDR werden.
Was ist die erste Niederlage$
Die letzten 40 Jahre.
Im ganz kleinen: Ich könnte mir hier nie eine Putzfrau leisten. Warum sollte ich mir jetzt nicht eine DDR -Gastarbeiterin einkaufen. Putzen für 1,50 die Stunde?
Da stimme ich dem Willy Brandt zu. Die Tarifverträge in der BRD müßten auch für DDR-Bürger gilt.
Und wenn die ganze DDR zu so einer Art zweites Schiffahrtsregister wird - dann kann man doch
nicht wieder eine Mauer bauen.
Nein, da müssen klare Verträge her, die z.B. das Schwarzarbeitsverbot ausweiten.
Wird man in den Vorstandetagen von Mercedes, Krupp und Thyssen so selbstlos über großzügige Hilfsprogramme nachdenken?
Zunächst mal muß die DDR ganz eigenständige Diskussion über ihren ökonomischen Weg führen. Also z.B. wie die bisherigen
Kombinate aufgelöst werden sollen, wie Marktelemente zugelassen werden usw. Einerseits muß die neue wirtschaftliche Struktur noch demokratisch kontrollierbar bleiben, also keine neuen Konzerne, die - wie bei uns - mit ökonomischer auch politische Macht konzentrieren. Andererseits dürfen nicht alle leidvollen Erfahrungen sozusagen im Zeitraffer nachgeholt werden, z.B.
die ökologische Katastrophe.
Aber die Leute sind der DDR doch nicht weggelaufen, um hier ÖPNV statt Trabi zu fahren.
In der DDR darf kein neuer Markt für VW Polos ohne Katalysator entstehen, sondern es müssen gleich die modernsten und umweltverträglichsten Technologien übernommen werden.
Aber genau das kriegt doch kein VEB ohne das know-how von VW und Daimler hin. Und die verstehen sich doch nicht als karitative Unternehmen für den Aufbau eines modernen Sozialismus mit Marktelementen?
Der Industrie hier schweben Beteiligungen mit privatem Eigentum vor: „Kombinat wird komplett aufgekauft“. Möglich wären Beteiligungen am Gewinn, aber ohne die Möglichkeit, Eigentumstitel zu erwerben.
Ihre Modelle scheinen mir vom guten Willen abzuhängen: Die DDR-Bürger sollen zugunsten von Umwelt und Innenstädten möglichst auf den Golf verzichten, die westdeutsche Industrie aufs gute Geschäft und die CDU-Bundsregierung auf den politischen Einfluß...
Vernunft ist das richtige Stichwort. Es braucht politische Widerstandsbewegungen - auch in der DDR. Und es braucht Anpassungszwänge, denen sich auch die Industrie nicht verschließen kann.
Fragen: Klaus Schloesser
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