„Seither ist Schweigen im Walde“

■ Dokumentation eines Briefes des RAF-Gefangenen Helmut Pohl aus dem Knast / Nach dem Hungerstreik, der nicht zur geforderten Zusammenlegung führte, „müssen wir uns auf eine neue Phase des Kampfes orientieren“ / Möglicherweise werde auch wieder ein Hungerstreik durchgeführt

ich habe mich mit ein paar wenigen gefangenen verständigt, und wir glauben, die meisten denken so, daß es längst zeit ist, unter der geschichte nach dem hungerstreik einen schlußstrich zu ziehen.

für viele draußen ist es noch eine offene situation, und dadurch hat niemand einen neuen ausgangspunkt, und es kann nicht angepackt werden. aus briefen weiß ich, daß es auch in den gefängnissen zum teil noch so ist, eine ganze reihe wissen nicht, tut sich noch was oder tut sich nichts, und das produziert eine unerträgliche lähmung.

kurz gesagt: es ist nichts mehr offen, es tut sich nichts, wir sind mit unserem projekt nicht weitergekommen, wir müssen uns auf eine neue phase des kampfs orientieren, aber mit den erfahrungen aus diesem streik.

wir haben nach dem streikende bis august gewartet und dann verlegungsanträge gestellt, um die drei gruppen in den spd -ländern zu kriegen und eine in celle. die anträge sind abgelehnt. die baw (Bundesanwaltschaft, d. Red.) hat die sache wieder ganz in die finger gekriegt, die alte nummer, jetzt in einer etwas abgewandelten variante: da durch die prozesse jetzt die verteilung der gefangenen nach dem länderschlüssel sowieso bundesweit neu geregelt werden muß, sollen angeblich einzelne von uns verlegt werden. nach den bauchlandungen der baw in der letzten zeit wollen sie das dann vermutlich als „veränderung“ verkaufen und sich so mit kosmetik aus der verantwortung für all die jahre vernichtungshaft davonstehlen und dabei ihr trostlos-dumpfes ziel der zerstörung des gefangenenkollektivs und des politischen bewußtseins der einzelnen weiter betreiben.

wir hatten noch eine zweite sache versucht. ab einem bestimmten zeitpunkt im streik, als schon deutlich war, daß wir große gruppen nicht kriegen, sondern höchstens mehrere kleine, haben wir parallel ein kommunikationsprojekt versucht mit dem ziel, daß alle am streik beteiligten gefangenen wenigstens schriftlich zusammen weiterkommen und wir uns so eine gemeinsame grundlage schaffen, um am anstehenden diskussions- und bestimmungsprozeß teilnehmen zu können.

wir haben dafür die mehrfach öffentlich aus der evangelischen kirche erklärte bereitschaft aufgegriffen, eine rolle für den „gesellschaftlichen dialog“ zu übernehmen. einmal im streik und dann wieder anfang juli. es ging um eine praktische sache, durch die eine flüssige und kontinuierliche kommunikation möglich gemacht werden sollte, was über die richter- und knastzensur nicht geht, und in der die technische möglichkeit bereitgestellt und der arbeitsaufwand geleistet wird, daß alles, was von den einzelnen geschrieben wird, immer gleich an alle geht. ein projekt für eine begrenzte zeit, die noch nicht festgelegt war.

das sekretariat der ekd (Evangelische Kirche in Deutschland, d. Red.) hatte sich dann bereit erklärt, das zu machen, und das ganze projekt, das so ja auch eines von ihnen war, den politikern auf den tisch gelegt.

erst hieß es, anfang september kriegt die kirche eine antwort und wir von ihr, dann anfang oktober und seither ist schweigen im walde. die antwort ist, daß es nicht beantwortet wird. auch das ist also klar.

dieser versuch, eine schriftliche kommunikationsmöglichkeit zu kriegen, war keine alternative zur zusammenlegung für uns, das will ich hier mal sagen. es war der versuch, den sinn unserer hungerstreikinitiative in den bedingungen von wenigen kleinen gruppen zu erhalten. vier, zur not drei kleine gruppen und die kommunikation aller, das war sozusagen „die engste stelle“ für uns. weniger geht nicht, und beides hat zusammengehört. manche haben im streik gefragt, ob wir die großen gruppen aufgegeben haben. das haben wir nicht, und das werden wir nicht aufgeben. es war aber so, daß jedes ergebnis vom streik nur ein anfang sein konnte, wir sind über 40 gefangene, und wir glauben, daß wir so das schwungrad in gang gehabt hätten, und die entwicklung, auf die wir aus sind, wäre für den staat nicht mehr so einfach noch einmal umzukehren gewesen. mit den anfangsgruppen aus denen, die mit am längsten isoliert sind, die reale perspektive für alle und die kommunikation aller, aus der die notwendige politische dynamik dafür gekommen wäre.

heute hat sich nach unserem eindruck draußen alles zum thema „diskussion“ hin verschoben, und die zusammenlegung rutscht in den hintergrund. für uns steht aber die zusammenlegung im zentrum. es gibt für uns nichts anderes, das haben wir gerade in dem halben jahr seit streikabbruch noch einmal hart gespürt, das war ein finsteres halbes jahr.

es gibt da bei vielen auch eine denkweise zu politik, die wir ablehnen. in drastischer zuspitzung erfahren wir in unserer situation auch nur wieder die bestätigung unserer vorstellungen vom politischen kampf, wie wir sie immer hatten - wie politik für uns keine getrennte beschäftigung mit politischen themen sein kann, sondern ein zusammenhängender prozeß des „änderns der äußeren umstände“ und der entwicklung des eigenen lebens mit anderen ist, eine lebensweise also, sitzen wir hier nicht in den löchern und studieren und arbeiten und sagen mal unsere meinung. genauso wollen wir auch nicht zu bloßen objekten von mobilisierungen werden, wir bestehen auf unserer qualität als subjekte. wir sind eingesperrt, ja - das ist aber schon alles.

das soll nicht heißen, daß einzelne von uns nicht auch immer mal was in der allgemeinen diskussion sagen. aber das ist etwas anderes, das kann nicht eine teilnahme am politischen prozeß sein, die für uns auch die möglichkeit von neuen, verändernden initiativen enthält. das ist auch eine inhaltliche begrenzung.

wir lassen jetzt nicht mehr los, daran hat sich nichts geändert. jetzt ist die zeit, die zusammenlegung und mit ihr als übergang die perspektive für unsere freiheit zu erkämpfen. das werden wir mit allen mitteln tun, also auch wieder mit hungerstreik, wenn es nicht mehr anders für uns geht.

jetzt müssen wir erst mal sehen, welche situation sich aus der konsequenz des scheiterns unseres versuchs ergibt.

eines ist, es sind während des streiks neue erfahrungen gemacht worden und neue und bessere beziehungen entstanden wir sagen denen allen: nicht mehr loslassen, wir werden durchkommen.

ein zweites ist, und das soll als schlußstrich jetzt auch klar sein, das, was wir an möglichkeiten in diesem abschnitt hatten, ist vorbei - insoweit wir für andere in dieser zeit die initiative an uns gezogen hatten und das ihre eigene mitbestimmt hat, ist das alles wieder abgegeben.

das ende dieses abschnitts um den hungerstreik ist aber auch mehr, es bedeutet für uns eine veränderung aus einer viel längeren phase. ich will die entwicklung bei uns hier mal zeigen, weil es auch die frage nach dem zeitpunkt des streiks betrifft, die von verschiedenen an uns gestellt worden ist.

diejenigen, die uns zu der zeit geschrieben oder uns besucht haben, wissen, daß der kurs, wie wir in den streik sind und ihn geführt haben, bis in die offensive der raf 85/86 zurückreicht. es ist hier nicht sache, die gesamte politische entwicklung seit mitte der 80er wäre eben dringend zu diskutieren und zusammen zu begreifen, aber für den zusammenhang kurz - wir sagen, andere auch, mitte der 80er war ein historischer einschnitt. in diesen einschnitt kam die offensive rein. alles andere jetzt weglassen, war die politische konsequenz, aus beidem für uns drinnen und draußen damals jedenfalls die orientierung auf eine umsetzung des angriffs in basisprozesse.

für uns in den gefängnissen hieß das zu versuchen, daß unsere forderung nach zusammenlegung und der kampf dafür teil der politischen praxis in den verschiedenen zusammenhängen draußen wird. das haben viele draußen auch so gesehen, es ist aber nicht so geworden. was wirklich die gründe waren und etwas anders ja heute immer noch sind, ließe sich auch nur in einer gesamten diskussion rausfinden, es ist jedenfalls kein spezielles problem dieser forderung, dasselbe ist in den unterschiedlichen auseinandersetzungen des ganzen radikalen spektrums wiederzufinden.

für uns war dann klar, es geht nicht ohne unseren kampf, und im sommer 87 haben wir uns entschieden, wieder einen hungerstreik zu machen. das dauert in unserer lage bei allem immer 1/2 bis 1 jahr, bis wir im genaueren verständnis auf einer welle sind.

dann kam im november die „walser/käsemann/vollmer-dialog -initiative“ rein. das wollten wir dann doch wissen, das hatte doch zu dreist auf handlungsunfähigkeit bei uns spekuliert, und wir haben erst das gemacht. nachdem diese propagandablase geplatzt war, als die drei briefe von uns veröffentlicht waren, war zum erstenmal der zeitpunkt, an dem eigentlich alle anfangen wolten.

wir haben dann den streik verschoben, weil wir bei allen überlegungen immer wieder drauf zurückgekommen sind, unbedingt noch zu versuchen, unsere forderung tiefer in den politischen zusammenhängen draußen zu verankern und wir zu der zeit auch bessere möglichkeiten dafür gesehen haben. der aufruf vom initiativ-kreis in hamburg war dann auch erst mal deutliche bestätigung dafür für uns. wir haben dann über 88 aus dem selben grund noch zweimal verschoben, zuletzt, mit argem knirschen schon, über die „sylvestertage“ in hamburg. als dann sichtbar war, daß erst mal keine neuen initiativen kommen würden, daß alles ein viel längerer prozeß wäre, haben wir angefangen.

danach haben wir aus papieren und gesprächen erfahren, daß für viele der streik in ihre entwicklungsprozesse wie reingebrochen ist. aber auch, wenn wir diese entwicklungen vorher so hätten sehen können, was wir nicht konnten, nur in groben umrissen, hätten wir auch ganz einfach nicht mehr warten können. nicht nur, daß wir wie im konkreten fall nicht ein jahr lang überall einzeln in den löchern startbereit sitzen können und immer weiter verschieben, das hält keiner aus, und irgendwann reißt dann auch die sehne, mit der wir uns für den kollektiven kampf gespannt haben. mehr, unsere forderung ist auch kein gegenstand, den man nach politikerInnen-muster mal vorschieben, mal zurücknehmen, oder gegen andere themen abwägen kann. der kampf dafür betrifft direkt unser leben, die materielle notwendigkeit ist unmittelbar. auch so materielle notwendigkeit, daß es immer der kampf ist, in dem wir unsere identität erhalten, auch wenn wir das ziel nicht erreicht haben.

ich sage das hier so ausführlich zu unseren letzten jahren vor dem streik, weil hinter der frage der „abstimmung“, wie es gesagt wurde, die der beziehungen steht. wir wollten es so weit wie möglich zusammenbringen, natürlich weil wir uns so größere chancen für die durchsetzung versprochen haben, aber es war uns auch so wichtig, weil in unserem denken die beziehungen überhaupt der schlüssel für die entwicklung einer kämpfenden bewegung sind. radikale kämpfe an den konkreten widersprüchen und die entwicklung der beziehungen an den konkreten erfahrungen miteinander zwischen den verschiedenen politischen zusammenhängen, das ist nach unserer auffassung der weg. und nicht die einheits-sammlung, wie es anscheidend von manchen jetzt für die neubildung in der linken angepeilt ist. also, wir haben, soweit es für uns ging, versucht, es auf die entwicklungen draußen abzustimmen, aber es geht eben nicht wirklich in diesen bedingungen. das ist ja die situation, könnten wir teil des gesamten prozesses sein, hätte auch das mittel hungerstreik für uns nicht so eine bedeutung, unser kampf wäre überhaupt ein ganz anderer.

mit den ergebnissen bzw. nicht-ergebnissen des streiks und den vergeblichen versuchen, danach einen anfang einzufädeln, müssen wir jetzt die ganze vorstellung der letzten jahre wieder anders fassen.

was sich an der linie der baw abzeichnet, heißt, daß anschließend an den streik die widersprüche, die darin sichtbar wurden, gleich wieder ausgeräumt worden sind, und daß die reaktion auf den kampf für die zusammenlegung wieder zentral festgezogen ist. kosmetische änderungen bei den einzelnen gegen die mobilisierung mit der entsprechenden propaganda, verhinderung kollektiver prozesse, „der individuelle gnadenweg“.

und das bedeutet, daß sie diese linie wieder über eine ganze zeitspanne hämmern und hämmern werden, weil, wenn es einmal wieder zentral festgelegt ist, soll es das immer auf eine längere zeit sein, in der sie es durchwalzen wollen, widerstand ist da einberechnet, sie zielen immer auf erschöpfung und zusammenbruch.

solange, bis das auch wieder weggekämpft ist.

es wird also jetzt noch einmal eine ganze phase des kampfs kommen. die veränderung gegenüber dem, auf was wir die letzten jahre auswaren, ist, daß für uns ein teilnehmen am prozeß von diskussion und praxis für eine politische weiterentwicklung, der natürlich auch die möglichkeit der veränderung der ganzen ausgangssituation für den revolutionären kampf enthält, kein mensch weiß, wie es dann aussehen würde, nicht möglich ist. nicht, daß wir jetzt daran was umschmeißen wollen, was unsere orientierung in den letzten jahren war, die saugen wir uns nicht aus den fingern, und dieser prozeß läuft auch ohne uns. die notwendigkeit der neuzusammensetzung der kämpfe für eine umwälzung des systems, wobei „neu“ nicht „alles anders“, sondern „wieder“ heißt, ist objektiv, den prozeß bringt jetzt oder etwas später die situation hervor.

aber es macht einen unterschied, ob die gefangenen daran teilnehmen können oder nicht. das wird sich auch zeigen. der prozeß verläuft wahrscheinlich anders. weniger einheitlich, weniger als strukturierter, kontinuierlicher prozeß und mehr als ein sich durchschlagen in einzelnen, aus den jeweiligen konkreten zusammenhängen entschiedenen vorstößen. aus unserer situation finden wir das auch nur richtig.

das kommt auch zusammen mit einer erfahrung, die vorher an anderen auseinandersetzungen schon gemacht wurde und die sich jetzt an unserem hungerstreik wiederholt hat, über die mal gründlich nachgedacht werden müßte.

der ganze politikbegriff, den viele noch haben, was eine politik der veränderung hier überhaupt noch sein kann, muß überdacht werden. es gab ja so viel unterstützung für unsere forderungen wie noch nie, bis rein in gewerkschaften, kirche, juristenvereine usw., nur um die breite der unterstützung jetzt zu sagen. aber das alles spielt eben eine immer geringere rolle. der staatsapparat hat sich gegen das, was aus der gesellschaft kommt, weitgehend immunisiert. da läuft es nach dem motto: „dort wird demonstriert, hier wird regiert“. das reicht von der auseinandersetzung um die raketenstationierung bis jetzt.

was heißt das?

wir kommen da vor allem auf eines - daß veränderungen nur erreicht werden, wenn man in den mechanismus, nach dem das ganze funktioniert, trifft. die kosten müssen höher getrieben werden als der profit, den sie sich versprechen.

helmut pohl, ende oktober