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Jeder schlägt was vor

Wann geht die bundesdeutsche Industrie in die DDR?  ■ N o C o m m e n t

Alfred Herrhausen, Chef der Deutschen Bank, gehörte zu den ersten, die eine Stellungnahme über die wirtschaftlichen Perspektiven der DDR abgaben. Innerhalb von fünf bis zehn Jahren, so Herrhausen, könne der Lebensstandard der DDR den in der BRD eingeholt haben. Diese Einschätzung verweist allerdings eher auf Herrhausens Vorstellung von der eigenen Macht als darauf, welche realen Möglichkeiten die DDR -Wirtschaft in der kommenden Zeit überhaupt hat.

Sorgen, daß das bundesdeutsche Kapital innerhalb kürzester Zeit die marode DDR-Wirtschaft sanieren und sie damit in den Griff bekommen würde, sind derzeit relativ gegenstandslos dazu sind die anstehenden Probleme bei weitem zu vielfältig. Doch dafür, daß dieser Eindruck entstanden ist, gibt es Gründe.

Wie sie es als ihre Aufgabe verstehen, haben die Westmedien nach der Öffnung der Mauer die Manager danach abtelefoniert, welche Erwartungen sie an die anstehende Wirtschaftsreform knüpfen. Da kam eine Flut von mehr oder weniger unausgegorenen Hoffnungen zusammen, deren dümmste wohl in der Ankündigung aus dem Reemtsma-Konzern bestand, eine Vorstandssitzung nach Dresden zu verlegen. So entstand prompt der Eindruck, es sei nur noch ein Frage von Wochen, bis die Deutsche Bank eine Filiale am Alexanderplatz einrichtet.

Nebenbei sei darauf hingewiesen, daß auch die Presseerklärungen von Firmen deutlichen Moden unterliegen, wenn die PR-Abteilungen ihr Handwerk verstehen. Ein paar Monate lang tauchte in nahezu jedem Papier das magische Wort vom Binnenmarkt auf, auch wenn der Zusammenhang noch so weit hergeholt war - Aufmerksamkeit bei den Presseleuten war damit garantiert. Zu erwarten steht jetzt, daß „Binnenmarkt“ von „DDR“ abgelöst wird, und wenn ein Unternehmen nur zehn Kilo Senf an eine HO-Gaststätte geliefert hat.

Ernsthafter verschärft wird die neue Unübersichtlichkeit in Sachen DDR aber davon, das alle Politiker und Experten, die glauben, etwas zu sagen zu haben, sicher sein können, sich in den Medien wiederzufinden - ganz zu schweigen von den JournalistInnen selbst, die jetzt ganze Zeitungsseiten mit mehr oder weniger ausgefeilten Ratschlägen füllen, bis hin zum ehemaligen Mitglied der DDR-Akademie der Wissenschaften, der einen zehnjährigen „Konföderationsvertrag“ zwischen BRD und DDR beschreibt, an dessen Ende - natürlich - eine Volksabstimmung über die Wiedervereinigung steht.

So ist es denn kein Wunder, daß in der DDR die Ängste vor einem Totalausverkauf des Landes steigen. Eine Flut von Vorschlägen und Katalogen kommt zudem aus den Bundesministerien, wahre Sammelsurien - dennoch bleibt die Resonanz in der Presse garantiert.

Auch wenn es ihnen darum geht, jetzt kein Porzellan zu zerschlagen und sich für die weitere Zukunft alle Optionen offenzuhalten: Die Stellungnahmen der großen Industrieverbände, die im Ostgeschäft Erfahrung haben, sind da fast wohltuend. Tyll Necker, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Hans Peter Stihl, Chef des Deutschen Industrie- und Handelstages und - gleich in einem Interview für die DDR-Nachrichtensendung Aktuelle Kamera - Otto Wolff von Amerongen, Vorsitzender des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft, wiesen fast übereinstimmend darauf hin, daß hektische Hilfsprograme und eine Bevormundung der DDR fehl am Platz seien. Die im Ostgeschäft erfahreren Spitzenfunktionäre wissen sehr genau, welche Berge von Problemen erst gelöst werden müssen, bevor ein wirtschaftliches Engagement in der DDR sich lohnt. Bis dahin werden Berge von Vorschlägen ebensoschnell wieder zu Makulatur werden, wie sie zusammengeschrieben worden sind.

Dietmar Bartz

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