piwik no script img

Einreisebeschränkungen für die Ost-West-Politszene

Als die Berliner aus Ost und West in der Nacht zum Freitag letzter Woche die Schlagbäume überwanden und die Berliner Mauer überflüssig machten, waren in der Menge auch manche, die seit langer Zeit sehnsüchtig auf diesen Zeitpunkt gewartet hatten. Einige der zwangsweise aus der DDR Ausgebürgerten Oppositionellen und die mit Einreiseverbot Belegten aus der links-alternativen Szene West-Berlins nutzten die Gelegenheit zu einem Trip auf den Prenzlauer Berg. Und die Freude für manche Ostberliner Oppositionelle war groß, als sie wieder einmal mit ihren alten Freunden reden konnten. Selbst dem noch vor eineinhalb Jahren von der DDR-Führung als ein Staatsfeind bezeichnete Roland Jahn, der Ende der siebziger Jahre ausgebürgert worden war, gelang es, die einst vertraute Luft zu schnuppern. Und der für zwei Jahre ins westliche Ausland entlassene DDR-Bürger Wolfgang Templin, der nach der Rosa-Luxemburg-Demonstration im Februar 1988 im Westen lebt, schuf Verwirrung bei den Grenzbeamten.

Doch diese Freudennächte sind jetzt vorüber. Die DDR -Grenzpolizei hat wieder alles im Griff. Zwar dürfen gemäß der neuen Reiseregelung alle DDR-Bürger in den Westen, viele Ex-DDR-Bürger noch lange nicht in den Osten. Wolf Biermann muß weiter auf seinen Auftritt in Ost-Berlin warten. Auch für die Regisseurin Freya Klier und den Liedermacher Stefan Krawczyk - der in den letzten Tagen nicht einmal von der BRD nach West-Berlin reisen durfte -, für die Ex-Ost -Oppositionellen Ralf Hirsch, Jürgen Fuchs und Rüdiger Rosenthal u.a. ist noch keine Entscheidung gefallen. Und diejenigen, die die kurzen Nächte nutzten, haben jetzt selbstverständlich noch keine offizielle Garantie, ihr Tun fortsetzen zu können. Andere, weniger bekannte Ex-DDR-Bürger bekamen dagegen in den letzten Tagen die Erlaubnis, ihre alte Heimat zu besuchen.

Auch für die mit Einreiseverbot belegten Westler scheint sich die Lage zu entspannen. Immerhin durften alle Mitglieder der Alternativen Liste, die am Wochenende rüber wollten, einreisen. Und auch die Ostexperten der Grünen aus Bonn, Elisabeth Weber und Milan Horacek, die in den letzten Jahren oftmals abgewiesen wurden, sowie die Abgeordneten Petra Kelly und Helmut Lippelt konnten die Grenzanlagen überschreiten. Die Europaabgeordnete der Grünen, Eva Quistorp, und der Organisator des „Forums West“, Gundolf Hertzberg, dagegen müssen weiter für ihr Engagement für die Ausgebürgerten DDR-Oppositionellen in den letzten Jahren büßen. Und auch einigen Medienarbeitern, selbst bei der taz, bleibt die Tür verschlossen.

Noch ist die Lage ungeklärt. Denn nicht jeder der über 5.500 Westberliner, die nach den Unterlagen der Senatskanzlei Einreiseverbote in die DDR hinnehmen mußten, hat in den letzten Tagen einen Antrag gestellt. Da sich nicht alle Abgewiesenen beim Senat gemeldet haben, ist die Dunkelziffer groß. Nur die Stasi hat den Überblick. Und die müßte eigentlich wissen, nach welchen Kriterien vorgegangen wird. Nach außen hin bleiben sie unverständlich.

Viele der Ex-DDR-Bürger spüren den langen Arm der Stasi sogar noch dann, wenn sie Transit durch die DDR in ein anderes sozialistisches Land, über den Flughafen Schönefeld oder nur von West-Berlin in die Bundesrepublik reisen wollen. Manche dürfen zwar Transit in die BRD fahren, andere nur über Schönefeld ins Ausland fliegen. Aber nach Polen zu fahren, bleibt ihnen verwehrt. Und auch einige Westler leiden unter diesen Bestrafungen der DDR-Behörden.

Wenn ursprünglich hinter den Reisebeschränkungen die Absicht gestanden haben mochte, die Kontaktaufnahme zwischen der linken Szene (West) und der Opposition (Ost) zu erschweren, sieht man bei der AL in den letzten Jahren gar keine Systematik in der Praxis der DDR mehr. Es habe sich vielleicht nur noch die Tendenz duchgesetzt, die Arbeit nicht akkreditierter Medienarbeiter zu einzuschränken, heißt es aus Journalistenkreisen. Die Willkür weise auf ein Kompetenzwirrwarr selbst bei der Stasi. Für viele Betroffene ist jedoch eine Tendenz klar: Gerade jene politischen Geister im Westen würden ausgegrenzt, die den „Ost-West -Dialog“ vorwärtstrieben und viele Kontakte mit Ost -Oppositionellen drüben suchten, die bei den Ausbürgerungen der Ostoppositionellen in den Westen ihre Stimme erhoben. Für Eva Quistorp setzt sich dieser Selektionsmechanismus sogar noch weiter fort. „Damit soll verhindert werden, daß die Ausgebürgerten an den Debatten um die politischen Programme der Oppositionsgruppen im Osten teilnehmen können.“ Das funktioniere auch darum, weil, wie in der Vergangenheit auch, die „Wendehälse in der Westlinken“, der AL und der Grünen sich nicht ernsthaft für die Aufhebung der Einreiseverbote einsetzten. Doch das wird vielleicht bald nicht mehr nötig sein. Denn seitdem selbst Bärbel Bohley leicht in den Westteil der Stadt kommen kann, sind die Kontakte hergestellt. Und sicher wird die oppositionelle Bewegung in der DDR die Einreisebeschränkungen zum politischen Thema in der DDR machen. Auch der Berliner Senat will nicht untätig bleiben. „Es ist schon seltsam für mich, wie sich alles umkehrt. Jetzt können wir Ostler hier im Westen mit euch diskutieren, und manche von Euch dürfen nicht rüber“, wundert sich Peter Grimm von den Sozialdemokraten (Ost).

Erich Rathfelder

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen