: „Flüchtlinge fallen aus dem historischen Rahmen“
■ AL bezichtigt SPD, sich nicht an Vereinbarungen in der Ausländerpolitik zu halten / Polnischer Sozialrat übt Kritik an Neuregelung für Ostblockflüchtlinge
Per Flugblatt warnt die AL Flüchtlinge seit zwei Tagen, ohne Begleitung zur Ausländerbehörde zu gehen, weil die Flüchtlingsweisung vom 20. Juni 1989 noch immer nicht wieder in Kraft gesetzt worden sei. Die deutsche Fassung wurde am Mittwoch auf der Sitzung des Ausländerausschusses verteilt. Der SPD wird darin vorgeworfen, sich „zur Zeit“ in der Flüchtlingspolitik nicht mehr an die gemeinsamen Vereinbarungen zu halten. Für morgen abend ist ein Gespräch mit Innensenator Pätzold angesetzt.
Den im Flugblatt geäußerten Vorwurf, die Senatsverwaltung für Inneres habe die Flüchtlingsweisung vom 20. Juni 1989 außer Kraft gesetzt, wies Staatssekretär Detlef Borrmann zurück. Der erste Teil der Weisung, wonach eine Aufenthaltserlaubnis bekommt, wer mindestens fünf Jahre in West-Berlin lebt, sei völlig unproblematisch und weiterhin in Kraft.
Definitiv außer Kraft ist allerdings der zweite Teil - und das seit Wochen. Flüchtlinge aus Abschiebestoppländern, die laut ursprünglicher Weisung ebenfalls eine Aufenthaltserlaubnis bekommen müßten, hängen zur Zeit buchstäblich in der Luft. Nachdem die Ausländerbehörde einige sogar mit einer Ausreiseaufforderung bedacht hatte, wurde der Behörde zumindest das von der Innenverwaltung untersagt. Seitdem herrscht Stillstand. Eine Neufassung der Innenverwaltung liegt bereits vor; konkrete Angaben dazu wollte Borrmann nicht machen. Verständnis für den Unmut beim Koalitionspartner äußerte der ausländerpolitische Sprecher der SPD Barthel. Im Moment widerspreche man der Weisung vom 20. Juni, „und das finde ich ganz schlimm“.
In der SPD-Fraktion bat man um Verständnis, daß es zur Zeit keine Stellungnahme zum Thema gebe, da andere Ereignisse die Fraktionsspitze in Atem hielten. „Flüchtlinge passen momentan nicht in den historischen Rahmen“, resümiert Frauke Hoyer vom Berliner Flüchtlingsrat, in dem mehrere Organisationen zusammengeschlossen sind. Nach einhelligen Berichten aus den Beratungsstellen sind die Flüchtlinge „total verunsichert“. Im Flüchtlingsrat befürchtet man, daß die Fraktionsspitze der SPD die entsprechenden Koalitionsvereinbarungen nicht mehr einzuhalten gedenke.
Kritik an der Neuregelung für abgelehnte Asylbewerber aus Ostblockländern hat erneut der „Polnische Sozialrat“ geübt. Es spräche nichts dagegen, daß abgelehnte AsylbewerberInnen, die nach dem 1. Mai 1989 nach West-Berlin eingereist sind, in Zukunft zurückgeschickt werden. „Wir kritisieren aber die Übergangsregelungen für die Personen, die vor dem Stichtag eingereist sind“, hieß es. Nach dem Wortlaut der Neuregelung ist zwar der weitere Aufenthalt von Polen in Berlin gesichert, sofern sie eine Aufenthaltserlaubnis haben. Diese Aufenthaltserlaubnis wird aber oftmals nur dann verlängert, wenn ein festes Arbeitsverhältnis besteht. Den meisten werde sie beim Arbeitsamt verweigert, „obwohl sie mehrmals und verzweifelt eine beantragt haben“. Der Sozialrat fordert einen sicheren Aufenthalt für Polen, die seit mindestens fünf Jahren hier leben, unabhängig von der Gnade des Arbeitsamtes. „Hier soll keine neue Mauer gen Osten errichtet werden.“
anb
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