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Türkische Sozialdemokratie gegen Kurden

Disziplinarverfahren für Abgeordnete / Das Delikt: Besuch einer Konferenz / Parteiverfahren und Strafverfahren oft Hand in Hand  ■  Aus Istanbul Ömer Severen

„Vaterlandsverräter“, „Seperatisten“ - mit solchen Schlagzeilen empfingen türkische Tageszeitungen sieben Abgeordnete der Sozialdemokratischen Volkspartei, die am 14./15. Oktober an einer internationalen Kurden-Konferenz in Paris teilgenommen hatten. Die Konferenz war ein Novum: Politiker, Wissenschaftler, kurdische Intellektuelle und Vertreter kurdischer Organisationen diskutierten über die „kulturelle Identität der Kurden und Menschenrechte“ - so der Titel der Veranstaltung. Die sieben sozialdemokratischen Abgeordneten - alle kurdischer Herkunft - sollen nun für ihre Teilnahme büßen: Der Parteivorstand beschloß, die Querulanten mit der Forderung nach Parteiausschluß vor die Disziplinarkommission der Partei zu stellen.

Die Partei hat Erfahrung darin, wie man mit „nationalen Widersachern“ umgeht. Der Abgeordnete Ibrahim Aksoy wurde vor sechs Monaten aus der Partei geworfen. Er hatte in einer Kommissionssitzung des Europarates in Straßburg kulturelle Autonomie für das kurdische Volk gefordert. Die Existenz einer kurdischen Minderheit in der Türkei wird nicht anerkannt. Ungeachtet der Tatsache, daß viele Kurden in der Türkei noch nicht einmal Türkisch sprechen können, halten sie sich stets an die Parole des türkischen Republikgründers Mustafa Kemal (Atatürk): „Wie glücklich, wer von sich behauptet, daß er Türke ist.“

„Haben wir denn noch nicht einmal das Recht, auf einer internationalen Konferenz zu erfahren, was die Kurden, die in verschiedenen Staaten des Nahen Ostens leben, fordern?“ fragt der vom Parteiausschluß bedrohte Abgeordnete Mehmet Ali Eren im Gespräch mit der taz. In der Türkei existiere „eine rassistische Front quer durch alle Parteien“. Das Disziplinarverfahren sei „eine Folge der rassistischen Politik“. Da die Politik der Sozialdemokraten in der Kurdenfrage sich völlig mit der staatlichen Doktrin deckt, laufen Strafverfahren und Verfahren wegen parteiwidrigen Verhaltens häufig Hand in Hand.

Wegen ihrer Auftritte während des Kommunalwahlkampfes im März - sie waren von der Polizei mitgeschnitten worden leitete der Staatsanwalt des Staatssicherheitsgerichtes Diyarbakir ein Ermittlungsverfahren gegen sieben Abgeorndete ein. Zwecks Aufhebung der Immunität wurde die Akte dem Justizministerium zugleitet. Es sind mehrheitlich jene Abgeordneten der „Sozialdemokratischen Volkspartei“ betroffen, die nun der Parteivorstand wegen der Teilnahme an der Pariser Konferenz aus der Partei ausschließen will. Während die kurdische Guerilla PKK zur Gründung eines unabhängigen Kurdistans einen bewaffneten Kampf gegen die türkische Armee führt, sprechen sich Abgeordnete wie Eren für eine friedliche Lösung auf „einer demokratschen, parlamentarischen Plattform“ aus.

Doch selbst in der türkischen Sozialdemokratie, die sich als linke Alternative zur konservativen Regierung begreift, stoßen solche Forderungen auf erbitterte Ablehnung. Kritiker in der Partei, die die kemalistische Ideologie vom (zentralistisch regierten) Nationalstaat in Frage stellen, werden zum Schweigen gebracht - trotz des gewaltigen Preises, der zu zahlen ist: Die acht bis zwölf Millionen Kurden in der Türkei sind ein gewaltiges Wählerpotential. Deshalb nominiert auch die regierende Mutterlandspartei bei Wahlen Kandidaten kurdischer Herkunft.

Der Abgeordnete Eren sieht nach einem Parteiausschluß unheilvolle Entwicklungen voraus: „Die Menschen werden sagen, für uns ist kein Platz in dieser Partei. So wird es zu Parteigründungen auf Rassengrundlage kommen. Es ist ein gefährliches Spiel, zumal mittlerweile die Hälfte der Einwohner in den großen Städten kurdischer Herkunft sind. Sie säen die Samen für Feindschaften.“

Eren weiß, wovon er spricht. Sein Wahlbezirk ist nicht in Kurdistan, sondern im Istanbuler Bezirk Sisli. Die Kurden, die auf der Suche nach Arbeit in die Metropole strömen, sind seine Wähler.

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