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Atomschieber im Reisefieber

Nach Brüssel ist jetzt auch in Österreich ein illegaler Urantransfer geplatzt / Ein halber Zentner Uran war im Reisegepäck / Sichergestellter Stoff auch für Bomben zu gebrauchen / Der Handel mit verschobenen Spaltprodukten kommt immer mehr in Mode  ■  Von Thomas Scheuer

Feldkirch/Basel (taz) - Irgendwo muß ein Nest sein: Nachdem die belgische Gendarmerie am letzten Freitag im Brüsseler Hilton-Hotel acht dubiose Händler festsetzte, die unter der Hand ein halbes Kilo Cäsium 137 an den Mann bringen wollten, hat auch die österreichische Polizei am frühen Mittwoch abend in einem Hotel in Feldkirch (Bundesland Vorarlberg) zwei Atomschieber abgegriffen, die illegal hochbrisanten Strahlenkram im Reisegepäck mitschleppten. Die beiden Verhafteten, ein Brite und ein Österreicher, beide mit Wohnsitz in Südafrika, waren nach ersten Ermittlungen der Polizei von dort per Flugzeug via Athen nach Zürich-Kloten und dann mit der Bahn weiter nach Österreich gereist. Im Gepäck des Gespanns stellte ein Strahlenschutztrupp der alarmierten Feuerwehr 50 Kilo „uranhaltiges Pulver“ sicher. In dem Hotel, so die Strahlenschützer, sei keine Kontamination festgestellt worden. Die Analyse des Schmuggelgutes durch das Institut für Radiochemie der Universität Innsbruck am Donnerstag morgen ergab, daß es sich bei dem Pülverchen um hochangereichertes Uran (97 Prozent Uran 238 sowie 1 bis 2,5 Prozent Uran 235) handelt.

Der halbe Zentner Strahlenschnee dürfte etwa 16 Kilo reinen Urans im Handelswert von rund drei Millionen US-Dollar enthalten. Uran in dieser Konzentration macht nur in Forschungsreaktoren oder für militärische Zwecke einen Sinn. Das Duo hatte den brisanten Stoff samt Abschirmmaterial durch die Luft in schlichten Flugtaschen transportiert. Die zuständige Sicherheitsdirektion in Bregenz konnte oder wollte am Donnerstag weder über die Herkunft des Materials noch über mögliche Kunden irgendwelche Angaben machen.

Auch wohin die beiden Schieber ihre Fahrkarten gelöst hatten, war nicht zu erfahren. Scheinbar wird jedoch Libyen als Bestimmungsland gehandelt. Vor sieben Wochen erst war in Athen ein Brite mit uranhaltigem Material verhaftet worden, der nach Angaben der griechischen Polizei bereits seine Weiterreise nach Tripolis gebucht hatte. Tatsächlich haben libysche Käufer in der Vergangenheit auf dem Schwarzmarkt wiederholt als Beschaffer für das von Libyen mitfinanzierte geheime Atomprogramm Pakistans fungiert.

Libyen selbst betreibt zwar in Tajoura bei Tripolis ein eigenes Atomforschungszentrum samt einem von der UdSSR gelieferten und 1981 in Betrieb genommenen 10-Megawatt -Forschungsmeiler, verfügt nach Ansicht von Experten jedoch über kein ernstzunehmendes militärisches Atomprogramm. Österreichische Medien und Kommentatoren nahmen die Affäre gestern zum Anlaß erneuter Kritik an den löchrigen Kontrollsystemen für Nuklearmaterial und speziell der in Wien ansässigen Internationalen Atomenergieagentur (IAEA). Letztere verweist allerdings darauf, daß Südafrika den Atomwaffensperrvertrag nicht unterschrieben hat und den IAEA -Kontrollettis nur zu einigen wenigen Atomanlagen freiwiliig Zutritt gewährt.

Den Tip, der zur Verhaftung führte, hatte die österreichische Zollfahndung nach eigenen Angaben aus der Bundesrepublik gesteckt bekommen; woher genau, mochte in Bregenz gestern jedoch niemand verraten. Schon die Verhaftungen in Brüssel waren durch Ermittlungen des Münchner Landeskriminalamtes ausgelöst worden. Letzteres wollte sich gegenüber der taz jedoch nicht über die Hintergründe seiner „Informationsgewinnung“ auslassen. Unter den acht in Brüssel Festgenommenen sind zwei Bayern. Nach taz-Informationen hatten westdeutsche Fahnder zumindest einen davon früher schon im Zusammenhang mit illegalem Waffenhandel im Visier. Zwischen den Unterweltsparten Waffen, Drogen und Atomalien, so ein Beamter, seien gelegentliche Branchenwechsel nicht unüblich.

Offenbar stehen die aufgeflogenen Aktionen in Athen, Brüssel und Feldkirch in keinerlei Zusammenhang. Die Häufung der Zugriffe auf dem Atomschwarzmarkt - drei Verhaftungsaktionen in knapp zwei Monaten - deutet jedoch auf ein Anschwellen der Geschäftstätigkeit in dieser Sparte hin.

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