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Kohl stellt weiter Bedingungen für Hilfe Momper: DDR nicht zugrunde gehen lassen

In seiner Regierungserklärung macht der Kanzler einen „grundlegenden Wandel“ der DDR zur Bedingung für weitreichende Hilfen Momper fordert eine „faire Chance“ für ein eigenes Wirtschaftssystem der DDR und nennt den aufrechten Gang dort ein Vorbild für die BRD  ■  Aus Bonn Gerd Nowakowski

Wenn Reformen unumkehrbar in Gang gekommen seien, dann „sind wir zu einer völlig neuen Dimension der Hilfe bereit“, sagte Bundeskanzler Helmut Kohl gestern vor dem Bundestag und wiederholte damit wörtlich jene Formulierung wie vor acht Tagen beim Bericht zur Lage der Nation, als sei nicht seitdem die Mauer gefallen.

Die Formulierung kennzeichete den Geist seiner Regierungserklärung - und offenbarte zugleich den tiefen Gegensatz zur Rede Willy Brandts: Der mahnte, in der Pose des „elder Statesman“ über den Parteien schwebend, den Kanzler vergeblich, „über den Tag hinaus“ zu denken. Doch zum eigentlichen Widerpart des Kanzlers wurde Walter Momper, der unter wütendem Aufheulen der Regierungskoalition der Wiedervereinigung eindeutig eine Absage erteilte und das demokratische Aufbegehren in der DDR auch zum Vorbild der BRD erklärte.

„Augenmaß und politische Phantasie“ verlangte Helmut Kohl in der fünfstündigen Debatte und erzählte Altbekanntes. Die Ereignisse in der DDR „müssen jenen zutiefst beschämen, der insgeheim seinen Frieden mit der Mauer gemacht hatte“, sagte er und hieb damit vor allem gegen die SPD: doch die fühlte sich nicht gemeint und klatschte demonstrativ mit der Regierungskoalition. Auch dies nichts Neues: Die Bundesregierung sei zu humanitären Hilfen, besonders im medizinischen Bereich, bei Umweltschutzaufgaben und Telefonverkehr in der DDR und bei der Lösung der Devisenfrage für Westreisen bereit, sagte Kohl; grundsätzlich aber sei eine Hilfe an einen „grundlegenden Wandel“ des Systems mit freier Presse, freien Gewerkschaften sowie freien Wahlen gebunden. Reisefreiheit allein reiche nicht. Als weitere Ziele nannte Kohl eine Strafrechtsreform und die visafreie Einreise in die DDR für Bundesbürger. Die DDR-Bürger „müssen selbst entscheiden können, welchen Weg in die Zukunft sie gehen wollen“, man werde das anerkennen immerhin ein neuer Ton zur Frage der Wiedervereinigung. Doch im nächsten Satz wurde nachgeschoben, man solle die DDR -Bürger „nicht bevormunden“ und ihnen „nicht einreden, das Beste sei die staatliche Teilung unseres Vaterlands.“

Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Walter Momper, ging die Union frontal an. Die Bundesregierung sei „in Passivität verharrt“, anstatt „endlich eine praktische Politik der guten Nachbarschaft“ einzuleiten. Momper mußte sich immer wieder minutenlange Tumulte mit derben Zwischenrufen anhören, so als wolle sich die CDU/CSU für Kohls Einbruch vor dem Schöneberger Rathaus revanchieren. Die DDR brauche eine „faire Chance, die Eigenständigkeit ihrer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu entwickeln“, betonte er und erteilte der Wiedervereinigung eine strikte Abfuhr: die Demokratiebewegung habe „ihre Freiheit nicht durchgesetzt, um unter das Patronat eines gesamtdeutschen Staates gestellt zu werden“. Der Bundesrepublik sei die Demokratie „von den Befreiern geschenkt worden“, nicht wie in der DDR nun „im Kampf erobert“. Deswegen seien „bei uns (...) Zivilcourage und aufrechter Gang vor den Mächtigen keine sonderlich entwickelten Tugenden“, schob Momper nach und erntete die Wut der Regierungskoalition und den Beifall der Grünen. Momper fragte, ob sich nicht „die heimliche Absicht durchsetzt, die DDR einfach an ihren wirtschaftlichen Schwierigkeiten zugrunde gehen zu lassen“ und dann auf den „Ausverkauf“ zu spekulieren. Der Berliner Bürgermeister forderte schnelle Hilfe für die DDR, die nicht „gönnerhaft ist oder an Vorbedingungen geknüpft wird“.

Gegensätze zu überwinden, hatte sich dagegen Willy Brandt vorgenommen. Er scheute sich nicht vor peinlichen Belobigungen des Kanzlers Polenreise, nicht vor einer Verurteiligung der Pfiffe vor dem Schöneberger Rathaus für Kohl, betonte Fortsetzung Seite 2

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die Gemeinsamkeit mit Kohl in der europäischen Frage, um dem von der SPD vorgeschlagenen runden Tisch näherzukommen: Er sei „gegen künstliche Gemeinsamkeiten“, doch die entscheidende historische Situation „erlaubt und erfordert weitin gemeinsame Antworten“. Für „überzogenen Parteipatriotismus bleibt kein Raum“, notwendig sei „ein hohes Maß an Gesamtverantwortung und Solidarität“.

An manchen Stellen wurde sichtbar, wie weit Willy Brandt der viel Beifall von der Regierungskoalition erhielt - vom Regierenden Berliner Bürgermeister Walter Momper entfernt ist. Es sei das „Wieder“, was ihn an der „Vereinigung“ stört, weil es suggeriere, es könne so werden, wie es einst war. „Die Einheit wächst von den Menschen her“, erklärte Brandt, dies habe keiner vor

ausgesehen. Doch Brandt betont die Rolle der EG und fordert eine „aktive Ostpolitik der Europäischen Gemeinschaft, um die europäische Friedensordnung voranzubringen“.

Finanzminister Waigel (CSU) und Lambsdorff (FDP) übten sich in der Propagierung des freien Unternehmertums und der Marktwirtschaft in der DDR. Lambsdorff lehnte staatliche Bürgschaften und Kredite ab, solange nicht privates Kapital zugelassen werde. Waigel exorzierte in einer langatmigen Exegese den gescheiterten Marxismus, gestand den DDRlern aber großzügig zu, die Wirtschaft müsse „nicht zwangsläufig zu einer bundesdeutschen Kopie werden“. Außenminister Genscher (FDP) warnte dagegen, den Menschen in der DDR in ihre Politik hineinzureden. Die BRD täte gut daran zu sehen, was man von der DDR lernen könne.

Ein Ende des eisernen Vorhanges von Jalta und des „Grauschleiers

über den beiden deutschen Republiken“ begrüßte dagegen Antje Vollmer (Grüne) nachdrücklich. In der DDR habe sich das Volk eine „selbstgemachte, atemberaubende Freiheit“ erkämpft. Vollmer lehnte für ihre Partei - wie die CDU/FDP - einen „runden Tisch“ in der Bundesrepublik ab. Was in der DDR den Prozeß der Veränderung beschleunige, sei hier „ein Ausdruck von Ängstlichkeit“. Die Bundesrepublik brauche statt bürokratischer Verordnungen den Wettstreit der Konzepte und den „Mut, aus dem vorschnellen Konsens herauszutreten“.

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