: „Viskose ist wie ein sauberer Teller“
■ Von Prüfverfahren, Qualitäten und Unterschieden / Eindrücke aus dem Bremer Faserinstitut
Die Frauen sitzen gerade in der Frühstückspause am großen Tisch ihres Labors. Einige haben ihr Strickzeug auf den Knien: „Wer hier arbeitet, hat meistens schon ein besonderes Verhältnis zur Wolle oder Baumwolle.“ Helmuth Harig, Leiter des Faserinstituts, führt durch die Laborräume. Bei regelmäßigen 20 Grad und durchgängig 65 % Luftfeuchtigkeit haben die Frauen das ganze Jahr hindurch gleichmäßig temperierte Arbeitsbedingungen. Für die Vergleichbarkeit der weltweit standardisierten Tests ist dies notwendige Bedingung. 24 Stunden lang müssen die Proben in diesem Einheitsklima gelagert werden, bevor die Meßwerte Gültigkeit erlangen.
Einige der traditionellen Prfkriterien sind auch für Laienaugenscheinlich: Baumwolle liegt in dicken Flocken in den Kartons. Je nach Herkunft und Qualität haben die einzelnen Proben unterschiedliche Farben (vom „reinen“ Naturweiß bis zu einem gelblichen Ton). Je nachdem, ob sie maschinell oder per Hand gepflückt wurden, finden sich Laubkrümel in den Faserwolken. Bei maschineller Ernte werden deshalb die Felder in großem Maße mit Entlaubungsmitteln besprüht, damit zur Ernte möglichst wenig der qualitätsmindernden „Störfaktoren“ von den Maschinen mit „abgerupft“ werden. Der Maschinenernte ist es auch zu verdanken, daß die Samenkapseln der Baumwollpflanzen zum Teil noch unreif geerntet werden: Obwohl durch den Einsatz von Cyanamid-Präparaten die Plantagenbesitzer versuchen, die Blätter künstlich zum Welken,
die noch unreifen Kapseln zum Nachreifen zu bringen. Massiver Pestizideinsatz hält Insekten wie Blattläuse und Baumwollkapselkäfer von den Monokulturen fern. Erntereif sind die Fruchtkapseln, wenn sie nach rund 200 Tagen aufplatzen und die rund 30 Samenkapseln mit 1.000 bis 7.000 Samenhaaren freigeben.
Nur wenige Institute untersuchen allerdings die Rückstände von Pestiziden, Entlaubungs-und Düngemitteln der Rohbaumwolle systematisch. Eine Bremer Untersuchung aus dem Jahr 1985 hatte ergeben, daß Baumwolle längst nicht so stark belastet ist, wie vermutet; die Baumwolle aus sozialistischen Ländern und Indien dabei stärker als die aus der Türkei. Bezogen auf ein Kilogramm sind beispielsweise Tees weitaus stärker belastet als Baumwolle, wobei die Konzentration in Tees sich beim Verbrauch wieder verringert, bei der Baumwolle in Verarbeitungsprozessen neue Belastungen hinzukommen.
Für die anschließende hochtechnisierte Weiterverarbeitung der Rohfasern werden immer aufwendigere Tests notwendig: Die durchschnittliche Faserlänge, die natürlichen Verknotungen der Fasern, ihr Wandstärke, Festigkeit und Dehnbarkeit müssen geprüft werden, damit sie den Spinn-Maschinen mit 100.000 Umdrehungen/min standhalten.
Im neu angeschafften Rasterelektronen mikroskop des Bremer Faserinstituts ließ sich am Beispiel einer Wollfaser in rund 100facher Vergrößerung recht anschaulich ein vermeintlicher Fortschritt in der Veredelung von Wolle beobachten:
Die Wollfaser ist einem Haar vergleichbar, das im ursprünglichen, intakten Zustand eine schuppige Struktur aufweist. Um Wolle waschmaschinenfest zu „domestizieren“, sie „anti-filz-mäßig“ auszustatten, werden die Schuppenkanten abgeschliffen oder die
Fasern mit einem Kunststoff überzogen, der sie in sämtliche Richtungen gegeneinander bewegbar werden läßt (im natürlichen Zustand wirken die Schuppen im Fasergeflecht wie Widerhaken). Von den natürlichen Qualitäten der Wolle ist dann nichts
mehr spürbar. Der Selbstreini
gungs-und Schutzeffekt der Wolle, durch deren Fettgehalt ausgelöst, reduziert sich erheblich. Und jeder chemische Reinigungsvorgang entfernt nocheinmal mehr von dieser naturgegebenen Fett-Ausstattung. Rohwolle anzufassen, die in langen Fasersträngen zur Prüfung im Bremer Labor landet, ist ein sinnliches Vergnügen: weich und schmiegsam unterscheidet sie sich ganz eklatant z.B. von den Rohfaser-Proben von Viskose. Steif und nur „diskontinuierlich gleitend“ wirkt die in der Hand bereits abstoßend: Vergleichbar ist dieser „Stickslip-Effekt“ von Viskose mit „quietschsauberen“ Tellern aus der Spülmaschine
Viskose ist der wichtigste Vertreter von „Cellulosics“, Fasern, die aus Zellstoffen (meistens Holz) in chemischen Bädern verflüssigt und anschließend durch eine Düse gepreßt in Schwefelsäure zum Erstarren gebracht werden - dem dann entstandenen Faden. Viskose ist billig in der Herstellung und im Tragen relativ angenehm, weil wasseraufnahmefähig wie z.B. die Baumwolle. Wo eine Faser noch als „natürlich“ einzustufen ist, läßt sich bereits bei diesem sehr bruchstückhafetn Exkurs in die Faserwelt kaum noch festlegen. „Ich zumindest werfe jetzt erst einen Blick aufs Etikett, bevor ich Textilien kaufe“, meint Faserinstitutsleiter Harig. Prüfverfahren für die Kontrolle von Rückständen in Rohfasern zu entwickeln, ist eines seiner Fernziele für das Bremer Institut: „Leider noch Zukunftsmusik“, so Harig.
Birgitt Rambalski
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