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Modrow will Vertrauen

■ Auszüge aus der Regierungserklärung

Der Wille zur Erneuerung der sozialistischen Gesellschaft und ihres Staates hat Millionen Bürger erfaßt und ist so zur politischen Gewalt geworden, politische Parteien und gesellschaftliche Gruppen sind selbstbewußt hervorgetreten. Dem Volk der DDR, das einen guten Sozialismus will, wird diese Regierung verpflichtet sein....

... So bitten wir alle Bürger, diese Regierung zu unterstützen...Wir alle erleben in diesen Tagen einen faszinierenden, wahrhaft bewegenden Vorgang: Die Mehrheit der Bürger ist im besten Sinne politisiert, beweist ein waches oder erwachendes politisches Bewußtsein und Selbstbewußtsein. Hunderttausende, ja Millionen sind aufgebrochen, um die neuen Reisemöglichkeiten zu nutzen... Wer diese Öffnung der Grenzen - ein historischer Vorgang, auf den die ganze Welt blickt - nicht als unwiderlegbaren Beweis für die unumkehrbare Wandlung von Politik und Leben in der sozialistischen DDR sieht, ist blind oder böswillig.

... Wir wollen in Übereinstimmung mit allen politischen Kräften des Landes schrittweise vorangehen, zügig, aber nicht überhastet, nach ordentlichen Analysen und Diskussionen, und zwar öffentlichen Diskussionen. Ich nenne als wichtiges:

--Erstens-- Reformen des politischen Systems, verbunden mit gesetzgeberischen Schritten, um Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit zu stärken. Dazu gehören insbesondere ein Wahlgesetz ebenso wie ein Gesetz über den Ministerrat sowie ein Mediengesetz. Änderungsvorschläge für das Strafrecht können relativ bald erfolgen. Das Reisegesetz, eventuell auch Paßgesetz genannt, ist nach geführter Diskussion vorzulegen.

--Zweitens-- geht es um eine Wirtschaftsreform, die zum Ziel haben muß, die Eigenverantwortung der wirtschaftenden Einheiten zu erhöhen..

“...Auch der Volkswirtschaftsplan 1990 muß im Zeichen der Stabilisierung stehen...Zur Stabilisierung des Binnenmarktes gehören ferner Maßnahmen, die geeignet sind, den massenweisen Abkauf von Waren, insbesondere von subventionierten Waren, durch bestimmte ausländische Touristen und Spekulanten zu verhindern.

... Nach Einschätzung des Ministers für Finanzen ist es derzeit nicht möglich, den Staatshaushaltsplan für 1990 zu bilanzieren. Es handelt sich um ein Einnahme-Defizit von rund 15 Milliarden Mark. ... Aber auch Verschwendung, zu hoher Verwaltungsaufwand und unsinnige Subventionen - für Schnittblumen oder Zeitungsannoncen etwa - führen zu Disproportionen...

...Außenwirtschaftliche Stabilität ist für die gesamte Wirtschaft der DDR eine Lebensfrage, ja eine Überlebensfrage.Im Handel mit dem nichtsozialistischem Wirtschaftsgebiet halten wir am Prinzip des gegenseitigen Vorteils fest.Die DDR ist offen für die Vorschläge kapitalistischer Partner, die bisher hinhaltend behandelt wurden...

Es kommt darauf an, Wohnungsbau, Instandhaltung, Wohnraumwirtschaft und Wohnraumvergabe enger zu verbinden. Es sollte möglich sein, Etagenwohnungen und Eigenheime aus Volkseigentum zu kaufen sowie größere Wohnhäuser in genossenschaftliche Nutzung zu nehmen....

... Ein großer kultureller Rückstand unserer Gesellschaft trotz beachtlicher Errungenschaften der DDR gerade auf diesem Gebiet - besteht in der praktischen Nichtgleichstellung der Frauen.

... Wirtschaftsreform bedeutetnicht Abschaffung der Planung. Wohl aber sollte die neue Regierung bei der Wirtschaftsreform sich ebenso deutlich davon leiten lassen, den Markt mit seinen Ware-Geld-Beziehungen zum organischen Bestandteil sozialistischer Planwirtschaft zu machen.

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