EG-Gipfel: Assoziierung der DDR?

Geht der Sondergipfel der Gemeinschaft die gesamtdeutsche Lösung auf die feine Art an? / Frankreich und auch die anderen EG-Partner wollen die Sonderstellung der Bundesrepublik im Osthandel abschwächen  ■  Aus Brüssel Michael Bullard

Wer wird die Nummer 13 in der EG? Nicht die Türkei, auch nicht Österreich, sondern die DDR - zumindest wenn es nach dem Plan des Präsidenten der EG-Kommission geht. Jacques Delors wird heute abend bei dem „gastronomischen“ Sondergipfel im Elysee-Palast in Paris den Staats- und Regierungschefs der EG sowie ihren Außenministern vorstellen, was seine Bürokraten von langer Hand vorbereitet als Antwort auf die Umwälzungen in Mitteleuropa blitzschnell aus verstaubten Archiven ans Tageslicht befördert haben: Die DDR wegen der besonderen deutsch-deutschen Beziehungen möglichst bald als EG-Mitglied mit Sonderstatus zu akzeptieren. Gemeint ist damit eine Zwitterstellung der DDR zwischen den Vollmitgliedern und „assoziierten“ Mitgliedern wie Malta, Zypern und der Türkei.

Offiziell weisen die zuständigen Stellen in der EG -Kommission ein solches Ansinnen noch immer weit von sich. Schließlich habe man doch beschlossen, über weitere Aufnahmeanträge erst nach 1993 zu befinden, wenn die internen Strukturen des gemeinsamen Marktes gefestigt sind. Außerdem würde ein solcher Schritt eine Lawine lostreten. Kommen nicht Ungarn, Polen, in Bälde auch die Tschechoslowakei und sogar die Sowjetunion als potentielle Kandidaten in Frage? Doch Delors verspricht sich von seinem politischen Schwenk gleich die Lösung mehrerer Probleme: Zum einen will er der Bundesregierung helfen, den Exodus aus der DDR und die damit einhergehende Anarchisierung der Bundesrepublik zu begrenzen. Zum anderen hofft er so, einem eventuellen deutschen „Sonderweg“ in Mitteleuropa einen Riegel vorzuschieben.

Damit kommt Delors sicher auch den Befürchtungen des französischen Gastgebers entgegen. Staatspräsident Fran?ois Mitterrand hatte aber nicht nur zu dem Arbeitsessen geladen, weil ihn der Alptraum eines wenn-geeint-dann-übermächtigen Deutschlands plagt, wie das für viele seiner Landsleute scheinbar der Fall ist. „Was soll denn dann aus uns armen, faulen Franzosen werden?“, fragte besorgt eine französische Mitarbeiterin der EG-Kommission. Das offizielle Thema des Sondergipfels der EG-Staats- und Regierungschefs lautet vielmehr: Wie reagiert die EG auf die jüngsten Entwicklungen in der DDR und in den anderen Ländern Mittel- und Osteuropas. Das Interesse an einer frühzeitig abgestimmten gemeinsamen Ostpolitik entspringt auch dem Unbehagen über das Treffen Gorbatschow/Bush Anfang Dezember auf hoher See nahe der Mittelmeerinsel Malta. Trotz gegenteiliger Erklärungen von Bush wird befürchtet, daß die Supermächte, wie schon einmal am Ende des Zweiten Weltkriegs in der Schwarzmeerstadt Jalta, sich über die Köpfe der Europäer hinweg auf eine Neuordnung Europas einigen könnten.

Mit der Einberufung des Sondergipfels verfolgt Mitterrand allerdings auch das Ziel, den schon seit längerem für den 8. Und 9. Dezember anberaumten EG-Gipfel in Straßburg von der Diskussion über Mittel- und Osteuropa freizuhalten. Dort sollen statt dessen Kohl und Thatcher unter Druck gesetzt werden wegen ihrer zögerlichen Haltung bei den Fragen des inneren Ausbaus der EG. „Fortsetzung, Beschleunigung und Intensivierung des europäischen Aufbaus“, nennt das der Sprecher Mitterrands. Konkret geht es dabei um eine Übereinkunft zur Sozialcharta und zur Währungsunion. Gerade von letzterer erhoffen sich die französischen Unternehmerkreise eine engere Anbindung der bundesdeutschen Wirtschaft an die EG. Im Klartext bedeutet dies auch Kontrolle und Teilhabe an deutschen Expansionsgelüsten.

Aus den selben Gründen wird im Elysee-Palast auch Delors Vorschlag auf Anerkennung der DDR als assoziiertes Mitglied der EG begrüßt werden. Schließlich würde ein solcher Beschluß im wesentlichen nur einen Zustand legalisieren, der seit Jahren von den EG-Staaten toleriert wird, dessen größter Nutznießer aber die bundesdeutsche Wirtschaft ist: Mehr als die Hälfte des gesamten EG-Exports nach Mittel- und Osteuropa wird innerdeutsch abgewickelt. Von diesem wachsenden - Markt will man in Frankreich nicht länger ausgeschlossen sein.

Auch in Bonn wird der Vorschlag Delors auf offene Ohren stoßen. Trotz der Angst vor einem Import der Instabilität aus dem Osten kann es sich die Bundesregierung nach Jahrzehnten der Freiheits-Propaganda nicht leisten, ihrerseits nun die Grenzen zu schließen. Gleichzeitig muß auf die Nachbarn und Verbündeten in Europa und Amerika Rücksicht genommen werden, die einer Wiedervereinigung mit großer Skepsis entgegensehen. Was bietet sich also besser an, als Genschers Vision einer allmählichen Ost-Erweiterung der EG mit der DDR in die Tat umzusetzen? Für die Deutschen läuft es langfristig gesehen auf das Gleiche hinaus, mit dem Unterschied, daß die Bundesregierung sich die Verantwortung für den deutsch-deutschen Annäherungsprozeß mit ihren EG -Partnern teilt.

Für die EG insgesamt wäre der Beitritt eines reform -sozialistischen Landes eine interessante politische Bereicherung. Vielleicht würde sich dadurch gar die schizophrene Politik umkehren lassen, in Mittel- und Osteuropa Demokratisierungsprozesse zu unterstützen, während die eigenen Parlamente von einem Triumvirat aus Regierungen, Bürokratien und Lobbygruppen in Brüssel entmachtet werden.