: Ostberliner fordern: „Trabis raus“
■ Erste Ost-West-Demo in West-Berlin / Gegen Giftmülltransporte in die DDR / An der Pfandflasche stellt sich die Systemfrage / Der AL tut der Protest „ein bißchen weh“
Verglichen mit den Hunderttausenden von DDR-Besuchern, die sich auch gestern an den Schaufenstern des Kudamms vorbeischoben, nahm sich die Versammlung winzig aus. Nur einige hundert Menschen (Polizeischätzung: 300) waren es, die sich gestern nachmittag mit Transparenten und Tafeln vor dem Schöneberger Rathaus aufstellten. Politisch jedoch war es eine sicher folgenreiche Premiere: Um gegen Westberliner Giftmülltransporte auf die schlecht gesicherte DDR-Deponie Vorketzin zu protestieren, versammelten sich zum erstenmal Umweltschutzgruppen aus beiden Stadthälften zu einer gemeinsamen Demonstration auf Westberliner Boden.
Es war die erste Gelegenheit für Ostberliner, ihre Demonstrationskultur zu exportieren. Ralf Ansorge vom „Naturschutz-Aktiv Berlin-Marzahn“ zum Beispiel kam mit einer handgemalten Tafel in Öl vor den Westberliner Regierungssitz. „Die meisten sind im Konsumrausch“, bedauerte Ansorge. Sein Protest gegen den westlichen „Überkonsum“ war an diesem Wochenende nicht im Ostberliner Trend. „Trabis raus“ - diese Forderung hielt ein anderer Ostberliner in die Höhe. „Als Westler würde ich mich das nicht trauen“, meinte er. Eine Westberliner Ökologin, Gisela Orlowski vom Ökodorf, sagte dafür den Ostberlinern Nettigkeiten. Alle würden jetzt vom Sieg des westlichen Systems reden. Doch die Wahrheit sei: „Unser System taugt überhaupt nichts. Euer Pfandflaschensystem ist viel besser als unseres.“
Die Ostberliner Ökologen hatten erschreckende Meldungen mitgebracht. Matthias Voigt, Müllexperte im Ostberliner Netzwerk „Arche“, erzählte von Hauterkrankungen bei Kindern in der Nähe von Schöneiche - dort steht nicht nur eine Müllkippe für Westabfall, sondern auch die umstrittene Sondermüllverbrennungsanlage, die eigens für Westberliner Giftabfälle gebaut worden war. Über manche Transparente freuten sich auch AL-Politiker. Doch die Forderung der Demonstranten, die Giftmülltransporte „sofort“ zu stoppen, löste bei dem AL-Abgeordneten Hartwig Berger gemischte Gefühle aus - schließlich sieht die Regierungspartei kurzfristig keine Alternative zum Müllexport in die DDR. „Ich habe Verständnis, daß ihr uns piekst“, meinte Berger, „aber es tut auch ein bißchen weh.“
Umweltsenatorin Schreyer durfte hinter das Mikrophon und bat um „Geduld“. Für ein Konzept zur Bewältigung der wachsenden Sondermüllfluten hätten bisher die Vorarbeiten gefehlt, gab Schreyer zu bedenken. Bei ihrem Amtsantritt habe sie in den Schubladen „schlichtweg nichts, aber auch gar nichts gefunden“. Erst Anfang nächsten Jahres könne sie deshalb den Export besonders gefährlicher Abfälle auf die DDR-Deponien stoppen, wiederholte Schreyer. Und mittelfristig könne West-Berlin auf den Müllexport in die DDR nicht verzichten. Würde den Firmen der Sondermüll von heute auf morgen nicht mehr abgenommen, warnte Schreyer, müßten beispielsweise Druckereien schließen. „Ja! Macht Springer dicht!“, rief ein Kreuzberger Altlinker dazwischen. Doch die meisten Ostberliner hörten höflich zu. Matthias Voigt aus Ost-Berlin war „erstmal froh, ins Gespräch zu kommen“. Für die Zukunft allerdings schloß er „gemeinsame Blockadeaktionen“ gegen Giftmüllaster nicht aus.
Hmt
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