Massenfestnahme und CN-Gaseinsatz im Ostertor

■ Folgen einer Spontandemo nach dem Tod einer Demonstrantin in Göttingen: Kaputte Scheiben, 23 Festnahmen und ein Disziplinarverfahren

Wer mit einem Palästinenser-Tuch durch das Ostertor spaziert, muß im Zweifel damit rechnen, von der Polizei wegen des Verdachtes des schweren Landfriedensbruches vorläufig festgenommen und erkennungsdienstlich behandelt zu werden. Diese Erfahrung mußten am Sonntag abend mehrere BremerInnen machen. Nachdem im Polizeihaus am Wall und im Polizeigewahrsam am Ostertorsteinweg kurz nach 21.00 Uhr einige Scheiben zu Bruch gegangen und außerdem vier Privat und zwei Polizeiwagen demoliert worden waren, nahm die Polizei im Ostertor insgesamt 23 Personen fest.

Ausgangspunkt der Demonstration war das Antifa-Cafe in der Buchtstraße. Dort hatten mehr als 100 BesucherInnen über den Tod einer Göttinger Antifaschistin diskutiert, die während eines Polizeieinsatzes gegen Autonome überfahren worden war. Dem Vorschlag, eine Spontandemonstration gegen den Göttinger Polizeieinsatz zu machen, kamen etwa 70 BesucherInnen nach, 40 blieben im Antifa-Cafe. Erst nachdem die Wagen demoliert und Scheiben zu Bruch gegangen waren, griff die Polizei ein, nach eigenen Angaben mit vier Mannschafts- und 10 Streifenwagen, also rund 60 Beamten. Augenzeugen berichteten, daß Im Nu das gesamte Ostertorviertel abgesperrt wurde.

Einer der Festgenommenen rief gestern nachmittag in der taz an und wollte wissen, „was denn Sache ist. Ich habe überhaupt nichts mitgekriegt.“ Er sei aus der Gaststätte „Litfaß“ gekommen und gleich verhaftet und mit Handschellen zur Polzeiwache in Arsten gebracht worden. Auf seine Frage, was denn überhaupt los sei, „da haben die sich totgelacht.“ Erst als er zwei Stunden später zur Polizewache am Wall gebracht worden war, sei ihm andeutungsweise mitgeteilt worden, was ihm vorgeworfen werde. „Die können doch nicht einfach durchs Viertel gehen und Leute verhaften, nur weil sie ein Palästinenser-Tuch tragen.“ Ein anderer berichtete, er sei in der Wache von einem Polizeibeamten geschlagen worden, weil er keine Namen von anderen Demonstrationsteilnehmern verraten wollte. Am nachmittag meldete sich die Mutter eines der vorläufig Festgenommenen in der Redaktion. Sie hat inzwischen einen Anwalt eingeschlatet, weil die Polizei ihrem 16jährigen Sohn untersagt hatte, nach Hause zu telefonieren, um dort Bescheid zu sagen. Auf entsprechende Bitten hätten die Beamten nur gelächelt. Auch der 16jährige trug ein Palästinenser-Tuch, im Polizeifunk-Slang auch „Terroristenlappen“ genannt. Auch ein anderer der Festgenommenen, ein 17jähriger, berichtete, daß ihm untersagt wurde, seine Eltern anzurufen.

Der Polizeipressesprecher wollte gestern nach dem „Beweis des ersten Anscheins“ ausschließen, daß völlig Unbeteiligte festgenommen worden seien. Allen erkennungsdienstlich Behandelten sei zudem mitgeteilt worden, daß sie als Beschuldigte im Sinne des Landfriedensbruchs gelten. „Davon gehe ich jedenfalls aus.“

Auch die 40 BesucherInnen des Antifa-Cafes, die sich bewußt dafür entschieden hatten, nicht an der Spontan-Demonstration teilzunehmen, wurden von der Polizei heimgesucht. Die Beamten seien „mit gezückten Waffen“ (Augenzeugin) in das Cafe gekommen. Die Anwesenden mußten sämtlichst ihre Personalien angeben, das Cafe wurde durchsucht. Die Beamten seien zunehmend aggressiver geworden, berichteten übereinstimmend mehrere Anwesende. Als sie nach einer knappen Stunde abzogen, zündete einer im Hausflur eine CN -Gasgranate. Die Anwesenden mußten vor den Gasschwaden über den Hinterausgang flüchten, da der Eingangsbereich durch die Granate unpassierbar war.

Für die Polizei ist der CN-Gas-Einsatz ein „Randereignis“. Und damit dieses nicht den „schweren Landfriedensbruch überlagert“, wurden gestern nachmittag bereits ungewöhnlich schnelle Konsequenzen gezogen. Gegen den Beamten, der die Gasgranate gezündet hatte, wurden disziplinarische Vorermittlungen eingeleitet. Erste Bewertung der Aktion: „Der Tränengaswurfkörper ist völlig überflüssiger Weise gezündet worden. Es war eine Einzelaktion, die durch dienstrechtliche Vorschriften nicht gedeckt war.“

hbk

Am Samstag findet in Göttingen eine bundesweite Demonstration gegen den Göttinger Polizeieinsatz statt. Aus Bremen fährt eine Gruppe um 9.00 Uhr ab Schlachthof. Heute nachmittag wird um 16.30 beim Engel im Ostertor eine „Mahnwache“ abgehalten.