: Umumstößlich ist die Stromtrasse nicht mehr
■ Geulen-Gutachten brachte keine Klarheit / Der Krieg der Gutachten über die juristischen Hintergründe des Stromlieferungsvertrages tobt weiter / Unter Umständen müßte das Land Berlin gar keinen Schadensersatz bezahlen / Wollmann-Gutachten hat schwere Fehler
Das Geulen-Gutachten zur Stromtrasse, das Umweltsenatorin Schreyer gestern vorstellte, hat die Zweifel an der juristischen Unumstößlichkeit der Trasse nicht beseitigt. Der Streit um die Auslegung des Gutachtens begann schon gestern. Während Schreyer bekräftigte, daß der Senat nicht aus dem Trassenprojekt aussteige könne, zog der Rechtsanwalt Hartmut Gassner gestern auf taz-Anfrage einen ganz anderen Schluß aus dem Geulen-Gutachten: Der Senat könnte die Zusagen widerrufen, die Exwirtschaftssenator Pieroth gegeben hatte. Mit ihnen begründet auch der neue Senat sein Festhalten am Bau der Trasse.
Schreyer hob gestern drei Ergebnisse des Gutachtens hervor: Für den Senat sei bisher „keinerlei Bindungswirkung“ (Schreyer) eingetreten, was die konkrete Ausgestaltung der Trasse in Berlin angehe. Gleichwohl, so Punkt zwei, bleibt es laut Schreyer dabei, daß der Senat an Pieroths Zusagen gebunden bleibe, die dieser der Bewag gemacht hatte. Diese Zusagen seien zwar nach Geulens Urteil „rechtswidrig“ erteilt worden, für den jetzigen Senat aber dennoch bindend. Schließlich, so Schreyers Lesart des Geulen-Gutachtens, könnten Schadensersatzforderungen der Bewag nicht ausgeschlossen werden, falls der Senat dem Projekt die Genehmigung verweigere. Staatssekretär Groth sprach gestern ergänzend von jährlich 25 Millionen Mark, die die Bewag an die westdeutsche Vertragspartnerin Preußen-Elektra zahlen müßte. Diese Summe könne die Elektrizitätserzeugerin vom Senat zurückfordern.
Doch ausgerechnet die beiden letzten Punkte werden durch ein Gutachten des Anwalts Gassner in Frage gestellt, dessen Kernaussagen die taz gestern aus dem Rathaus Schöneberg erfuhr. In diesem Gutachten wird ein Schadensersatzanspruch der Preußen-Elektra an die Bewag verneint. Für den Fall, daß der Senat die Stromtrasse ganz untersage, gäbe es im Stromlieferungsvertrag zwischen Bewag und Preußen-Elektra keine Schadensersatzklausel. Die Umweltsenatorin hält das Gassner-Gutachten seit September unter Verschluß - laut Groth, weil es sich auf Geheimverträge der Bewag bezieht. Der AL-Abgeordnete Berger forderte gestern Schreyer auf, dieses Papier wenigstens in Teilen zu veröffentlichen. „Wenn es irgendwie wichtig ist, muß es raus“, meinte Berger.
Gassner nannte gestern auch eine Ausstiegsmöglichkeit, die das Geulen-Gutachten eröffnet habe: Wenn Pieroths Zusagen rechtswidrig zustandegekommen seien, dann könne der Senat diese Zusagen zurücknehmen - so bestimme es das Verwaltungsverfahrensgesetz. Staatssekretär Groth bestätigte, daß das Gesetz diese Möglichkeit biete, verwies jedoch erneut auf potentielle Schadensersatzansprüche der Bewag. Das Gassner-Gutachten verneine zwar Ansprüche auf jährlich 25 Millionen Mark, räumte Groth ein, dennoch handele es sich dabei nur um die Meinung eines Gutachters. Man wolle keinen „Gutachterstreit“, meinte Groth.
Doch genau den hatten Schreyer selbst, Wirtschaftssenator Mitzscherling und Mompers Staatssekretär Schröder angestoßen, als sie im Frühjahr zwei Rechtsgutachter engagierten, um den Streit um die Stromtrasse zu schlichten. Diese Gutachter, Helmut Wollmann und sein Mitarbeiter Axel Ruyter, hatten erklärt, die Stromtrasse müsse vom neuen Senat akzeptiert werden. In den vergangenen Monaten waren jedoch in der AL die Zweifel an diesen Gutachten gewachsen. Erst gestern wurde bekannt, daß diese Zweifel überaus berechtigt sind. Die taz hatte einen Vermerk aus Schreyers Rechtsabteilung veröffentlicht, der dem Wollmann-Gutachten vorwirft, „im entscheidenden Punkt auf schwachen Füßen“ zu stehen. Einen gravierenden Kunstfehler Wollmanns nannte gestern Schreyer selbst: Der Professor hatte sich in seinem Gutachten unter anderem auf einen Gesetzesparagraphen berufen, der schon 1976 abgeschafft worden war. Geulen konnte Wollmann noch weit peinlichere Unterlassungssünden vorwerfen: Er vertrat zum Teil eine Rechtsauffassung, die nicht nur der „gefestigten Rechtssprechung“ des Bundesverwaltungsgerichts widerspricht, sondern auch der „ständigen Behördenpraxis in West-Berlin und der Bundesrepublik seit den 50er Jahren“. Die Rechtssprechung des Bundesgerichts sei von Wollmann „nicht zitiert und anscheind gar nicht zur Kenntnis genommen“, schrieb Geulen. Die Zweifel am Wollmann-Gutachten waren Schreyer seit Anfang September bekannt. Doch erst im Oktober erteilte sie an Geulen den Auftrag, diesen Zweifel nachzugehen.
hmt
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