: Polizeichef bestätigt Funkspruch
Göttinger Polizeieinsatz von Widersprüchen geprägt / „Sollen wir die plattmachen?“ als „flapsige“ Aufforderung zur Personalienfeststellung dargestellt / Proteste gegen Polizei gehen weiter ■ Aus Göttingen Reimar Paul
Drei Tage nach dem Tod der Studentin Cornelia W. hält die Göttinger Polizeiführung weiterhin an der Version fest, wonach ihre Beamten bei ihrem Vorgehen gegen die Gruppe von etwa 25 AntifaschistInnen weder Schlagstöcke noch chemische Keulen oder Polizeihunde eingesetzt hätten. Lothar Will, Leiter der Schutzpolizei, räumte gestern auf Nachfrage aber ein, daß einzelne Polizisten ihre Knüppel „in der Hand“ gehabt hätten, als sie zur „Personalienfeststellung“ schritten. Augenzeugen bleiben demgegenüber bei ihrer Darstellung, daß Chemical Mace und Schlagstöcke eingesetzt wurden. Einige Beamte hätten darüber hinaus bei ihrer Attacke auf die Flüchtenden Hunde mit sich geführt.
Zugegeben hat die Polizei inzwischen, daß die auf Flugblättern veröffentlichten Mitschnitte aus dem Polizeifunk „im Prinzip korrekt zitiert“ worden seien. „Sollen wir die mal plattmachen?“ - so war unmittelbar vor dem Einsatz von beteiligten Beamten über Funk angefragt worden. Antwort: „Ja, wir haben genügend Kräfte.“ Diese „flapsige“ Bemerkung, sagte Polizeichef Will, habe sich allerdings auf die geplante Personalienfeststellung bezogen und „keineswegs einen harten Einsatz“ impliziert.
Für Jürgen Trittin, den Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Landtag, „belegt die über Funk geäußerte Absicht, die Gruppe von Antifaschisten 'plattmachen‘ zu wollen, daß es bei der Göttinger Polizei ein tiefsitzendes Feindbild gegen Linke gibt, welches in solchen Einsätzen ausgelebt wird“. Trittin weiter: „Wer diese Menschenverachtung als 'flapsig‘ verniedlicht, sollte die längste Zeit Polizeichef gewesen sein.“
Ungeklärt bleibt für die Grünen überdies, warum die Polizei überhaupt gegen die Gruppe vorgegangen sei, obwohl diese nicht in die Auseinandersetzungen mit den Skins verwickelt war und gegen sie „zugegebenermaßen kein 'Tatverdacht‘ bestand“. Zu dieser und „einer Reihe anderer Fragen“ soll heute nachmittag die Landesregierung Stellung nehmen. Trittin hat für die Sitzung des Innenausschusses eine Unterrichtung durch das Ministerium beantragt.
Gestern nachmittag hat die Göttinger Staatsanwaltschaft die Ermittlungen über die Umstände des Todes von Cornelia W. aufgenommen.
Die Kassiererin eines nahegelegenen Kinos schilderte der taz, daß zur fraglichen Zeit eine junge Frau mit „verheultem Gesicht“ den Kino-Vorraum betreten und um Hilfe beim Ausspülen der Augen gebeten habe. Auch die Kassiererin selbst „verspürte ein starkes Brennen in den Augen“. Ihr Pullover habe noch am nächsten Morgen nach Gas gerochen. Diese Aussage läßt es als möglich erscheinen, daß Cornelia W., bevor sie auf die Straße rannte, ebenfalls mit der chemischen Keule attackiert worden sein könnte.
In Göttingen sind die Proteste gegen den Polizeieinsatz weitergegangen. Nach einer Versammlung am Ort von Conny W.s Tod, bei der Teilnehmer ein Mahnmal und einen Gedenkstein für die „von der Polizei in den Tod getriebenen“ Frau errichteten und einen meterhohen Holzberg entzündeten, formierten sich etwa 1.000 Menschen zu einer Demonstration durch die Innenstadt. Zahlreiche Wände und Fassaden wurden mit Parolen wie „Conny, wir trauern um dich“, „BRD Bullenstaat“ und „Nazis raus“ besprüht.
Nach Mitternacht rückten Polizeihundertschaften mit schwerem Räumgerät in Richtung Mahnmal vor, um „das liegengebliebene Gerümpel von der Fahrbahn zu schaffen“ (O -Ton Einsatzleiter). Während Feuerwehrleute und Bedienstete des städtischen Reinigungsamtes die Reste des qualmenden Holzhaufens mit dicken Wasserschläuchen löschten, drängten Polizisten die etwa 200 verbliebenen Demonstranten von der Fahrbahn. Obwohl einige Beamte dabei ihre Knüppel einsetzten, verweigerten andere wiederum den mehrfach ausgegebenen Befehl „Schlagstock frei!“ Zwei Personen wurden vorläufig festgenommen.
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