: Streit um ein Stückchen Stoff
■ Frankreich wird von der Kopftuch-Affäre erschüttert: Dürfen Mädchen in der Schule den traditionellen „Hijeb“ tragen? Die Debatte wird erbittert geführt: Steht tatsächlich europäische Aufklärung contra islamischen Fundamentalismus?
Die Kopftuch-Affäre erschüttert die französische Nation: Sie läßt Lieben auseinanderbrechen, stellt Parteizugehörigkeiten in Frage, beschäftigte in der letzten Woche das Parlament und jetzt sogar den Staatsrat, das oberste französische Verfassungsorgan. Vordergündig geht es um ein simples Kleidungsstück, den „Hijeb“, das traditionelle islamische Kopftuch für Frauen, in der Diskussion fälschlicherweise (oder auch bewußt tendenziös?) als „Tschador“, Schleier, tituliert. Anlaß für die erregte Debatte, über die wochenlang auf den ersten Seiten der Zeitungen berichtet wurde, ist die Geschichte von drei Algerierinnen, die in der französischen Kleinstadt Creil mit dem Kopftuch im Unterricht erschienen und sich bis jetzt standhaft weigern, das Tuch abzulegen (die taz berichtete). Für die Bundesrepublik erst mal kein aufregende Angelegenheit, ist es doch bei uns gang und gäbe, daß türkische Mädchen ihre traditionelle Kopfbedeckung tragen, ohne daß jemand auch nur auf die Idee käme, sie deswegen von der Schule zu werfen.
Doch für die Franzosen wird damit eine heilige Kuh geschlachtet. Eine der großen Errungenschaften ihrer republikanischen Vergangenheit ist das staatliche Schulsystem, das im Zuge der Trennung von Kirche und Staat entstand. In der französischen Schule ist es per Gesetz verboten, Zeichen der Zugehörigkeit zu einer politischen oder religiösen Gruppe zu tragen und - so heißt es in der Öffentlichkeit - „Was ist der 'Tschador‘ anderes?“ So stehen sie nun zusammen, alle aufrechten RepublikanerInnen quer durch die Parteien, als ginge es darum, mit dem Hijeb einen Angriff auf die Fundamente ihrer Republik abzuwehren und damit auf alles, was ihnen wert und heilig ist. Die Worte der Aufklärung...
Damit allein läßt sich die Hitzigkeit und der Zeitpunkt der Debatte allerdings nicht erklären, gingen doch jahrelang die jüdischen Jungen mit ihren Käppis in die öffentliche Schule, ohne daß Erziehungsminister bemüht werden mußten. Die Radikalität der Diskussion - mehr als zwei Drittel der Bevölkerung sind nach Ergebnissen einer Umfrage für den strikten Verweis der Mädchen von der Schule (auch das gesamte LehrerInnen-Kollegium in Creil) - ist gerade auch im Zusammenhang mit der Rushdie-Affäre zu sehen. Die Auseinandersetzungen haben in Frankreich, wo der Islam zweite Religion nach dem Katholizismus ist, äußerst aggressive Formen angenommen. Ins Auge fällt aber auch, daß der Streit vor allem unter den französischen Intellektuellen ausgefochen wird und das mit einer Schärfe, die aufhorchen läßt. Denn es geht auch um sie, um ihr politisches Engagement und ihr Verhältnis zur Dritten Welt. Der in der Debatte stark engagierte Philosoph Alain Finkielkraut -, zwei seiner neuen Bücher, Niederlage des Denkens und Die vergebliche Erinnerung, sind gerade auf dem deutschen Buchmarkt erschienen - liefert die philosophischen Argumente der Anti-Kopftuch-Fraktion: In scharfer Polemik gegen den Poststrukturalismis, vor allem gegen die von Claude Levi-Strauss vertretenen Thesen der Gleichrangigkeit von „zivilisiert“ und „barbarisch“, führt Finkielkraut wieder ein übergeordnetes universelles Wert- und Wertungssystem ein, das sich der Aufklärung, vor allem Kants Metaphysik der Sitten verpflichtet fühlt. Einzig in der europäischen Zivilisation, so Finkielkraut, sind Werte wie Wahrheit und Vernunft verwirklicht und deshalb von allen Intellektuellen gegen alle fundamentalistischen Angriffe zu verteidigen. Er wendet sich scharf gegen einen blinden Humanismus unter dem Markenzeichen „S.O.S.-Racisme“ (französische Anti-Rassismus-Organisation), dem er vorwirft, in der sentimentalen und undifferenzierten Verschwisterung mit der Dritten Welt alle Widersprüche unter den Tisch zu kehren. ...und versteckter Rassismus
In seiner Kritik der Gleich-Gültigkeit der Nouvelle Philosophie hat Finkielkraut so unrecht nicht, frau wird jedoch den Verdacht nicht los, daß in seiner Auseinandersetzung auch die Enttäuschung eines alten Liebhabers mitschwingt, der einst große revolutionäre Hoffnungen auf die Dritte Welt setzte und jetzt abrechnet. Zum anderen öffnet Finkielkraut im Namen der Aufklärung und Menschenrechte einem neuen eurozentristischen Denken Tor und Tür. Die VerteidigerInnen des Hijeb werden mit den extremistischen Fundamentalisten in einen Topf geworfen: Heraus kommt dabei ein diskreter Rassismus a la Finkielkraut: Wir haben nichts gegen Einwanderer, aber sie haben sich den aufgeklärten europäischen Sitten anzupassen und ihre Unsitten wie den Tschador bitteschön zu Hause zu lassen.
Auch die französische Frauenbewegung (oder was von ihr noch übrig ist) argumentiert im gleichen Tenor gegen das Kopftuch als einem „Instrument männlich-sexistischer Unterdrückung“. „Wir müssen uns mit aller Macht dagegen wehren“, so die frauenbewegte tunesische Intellektuelle Gisele Halimi, die gerade aus Protest gegen den Hijeb aus „S.O.S. Racisme“ ausgetreten ist, „daß die frauenfeindlichen Ansichten des Islam in Europa Fuß fassen, und gegen die ersten Anzeichen kämpfen, um Schlimmeres zu verhindern. Mit dem Tschador fängt es an, was kommt danach?“, fragt sie warnend, ohne mit einem Wort auf die konkrete Situation der arabischen Frauen in Frankreich einzugehen, auf den Bruch mit ihrer (männlich bestimmten) Kultur und Tradition, vielleicht auch auf den Schutz, den ein Tuch vor dem fremden, fordernden männlichen Blick bietet. Die (sexuelle) Befreiung der nordafrikanischen Frauen läßt sich nicht durch Zwang verordnen und besonders nicht dadurch, daß islamische Mädchen von öffentlichen Schulen ausgeschlossen und auf Religionsschulen abgeschoben werden.
Und die französische Regierung? Sie sitzt zwischen allen Stühlen. Auch der sozialistische Erziehungsminister Lionel Jospin ist grundsätzlich gegen das heißumstrittene Kopftuch, will aber den drei Mädchen (und damit allen Kopftuchträgerinnen im Land) nicht das Recht auf Unterricht verweigern - gegen viele Stimmen in seiner eigenen Partei. „Integration ja“, sagt Lionel auf einer Veranstaltung an der Sorbonne, „aber keine Assimilation unter Preisgabe der kulturellen Wurzeln.“
Irma Dohn
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