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Die SED bittet an den runden Tisch

■ Blockparteien und Opposition zur Diskussion über Wahlen und Verfassungsreform eingeladen / Scharfe Reaktionen der DDR-Presse auf Seiters-Besuch / Spekulationen über „unpopuläre Maßnahmen“ / Erste Ausfuhrbeschränkungen für Antiquitäten und Gebrauchtwaren

Ost-Berlin (taz/ap/dpa) - Die DDR-Führung hat den Blockparteien sowie der Opposition Gespräche am „runden Tisch“ vorgeschlagen. Wie 'adn‘ am Mittwoch berichtete, erfolgte der Vorschlag des SED-Politbüros „in Verwirklichung des Aktionsprogramms der Partei“. Im Mittelpunkt der Gespräche sollen nicht nur ein neues Wahlgesetz, sondern auch eine Verfassungsreform stehen. Dahinter verbirgt sich der Streit um die Beibehaltung der in der Verfassung verankerten Führungsrolle der Partei. Während die SED bislang die politische Reform mit einer unabhängigen Regierung und der Erneuerung parlamentarischer Strukturen durchführen wollte, bedeutet der Vorschlag eines „runden Tisches“ unter Einbeziehung der Opposition einen qualitativen Durchbruch.

Auch der Vorsitzende der LDPD, Manfred Gerlach hat sich gestern für den „runden Tisch“ ausgesprochen. An diesem Dialog zur Lösung der anstehenden Probleme im Lande sollten die Parteien der Volkskammer, Vertreter der Regierung und der oppositionellen Gruppen teilnehmen. Die drängendsten Probleme müßten gemeinsam angepackt werden. „Die Talsohle der Krise ist noch nicht erreicht.“ SDP-Geschäftsführer Ibrahim Böhme hatte am Tag zuvor betont, am „runden Tisch“ sollten die Modalitäten für demokratische Wahlen diskutiert und festgelegt werden.

Scharfe Reaktionen in den DDR-Medien hat unterdessen der Auftritt von Kanzleramtsminister Rudolf Seiters in Ost -Berlin ausgelöst. Nachdem Parteichef Krenz und Ministerpräsident Modrow sich am Montag vor der internationalen Presse den Forderungskatalog Seiters‘ schweigend angehört hatten, konterte das SED-Zentralorgan in seiner gestrigen Ausgabe: Offensichtlich wolle die Bundesregierung die DDR erst dann „belohnen, wenn sie sich als souveräner sozialistischer Staat aufgegeben hat“, hieß es in einem Kommentar auf der ersten Seite. Das Wort „Hilfe“ könne „rabiater seines Inhalts nicht beraubt werden“, kritisierte das Blatt weiter. Bonn mache die Unterstützung von schnellen Reformen abhängig, ohne sich darüber Gedanken zu machen, wie schnell sie überhaupt vollzogen werden könnten. Die Bundesregierung wolle, daß die DDR das Wirtschaftssystem der Bundesrepublik übernehme. Letztlich laufe die Bonner Konzeption auf die Abschaffung der Grenzen und den deutschen Einheitsstaat hinaus.

Seiters hatte unter anderem freie Wahlen, Zulassung von Parteien, Wegfall des Führungsanspruchs der SED und marktwirtschaftliche Instrumente als Voraussetzung für wirtschaftliche Unterstützung der DDR angemahnt. Zur Regelung der Devisenfrage für Westreisen hatte Seiters die Einrichtung eines Devisenfonds vorgeschlagen, der den Fortsetzung auf Seite 2

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Reisenden den Umtausch eines begrenzten Betrages zum Kurs von 1:1 ermöglichen soll. Bonn will hierfür die für 1990 veranschlagten 1,3 Mrd. Mark Begrüßungsgeld einzahlen, das dann wegfiele. Doch auch dieses Projekt ist an harte Bedingungen geknüpft: Reiseerleichterungen für BundesbürgerInnen, Wegfall des Zwangsumtauschs sowie ein eigener Devisenbeitrag der DDR für den Fonds. Woher die DDR die Devisen nehmen soll, wenn selbst die Einnahmen aus dem Zwangsumtausch wegfallen, ließ Seiters offen. Die DDR -Führung stimmte dem Vorschlag nicht zu.

Unverständnis löste der Seiters-Besuch offenbar auch in anderen Ländern aus. Die liberale Turiner Tageszeitung 'la stampa‘ kommentierte unter dem Titel „Kohls Diktat“, Seiters sei wie ein Gouverneur aufgetreten, der seine Provinz besucht. Seiters habe sein Diktat öffentlich vorgetragen und der DDR-Führung die Rolle eingeschüchterter Untertanen zugewiesen.

Unterdessen gehen die Spekulationen über die „unpopulären Maßnah

men“ weiter, die Regierungschef Modrow zur Eindämmung von Spekulationsgeschäften und Geldtransfer durch westreisende Bürger sowie durch ausländische Touristen angekündigt hat. Denkbar ist, daß subventionierte Waren künftig nur noch gegen Vorlage des DDR-Personalausweises zu kaufen sind. Das gab es bereits vor dem Mauerbau. Damit soll der Westhandel durch Polen und Bundesbürger verhindert werden. Gegen DDR -Handelstreibende werden schärfere Zollkontrollen sowie härtere Strafen bei Zollvergehen erwartet. Die Rationierung bestimmter Waren wird zwar unter DDR-Ökonomen bereits diskutiert, doch wird die Regierung die neue Reisefreiheit wohl kaum mit einer derart einschneidenden Maßnahme flankieren. Der Ausfuhr von DDR-Mark, die dann im Westen zum Schleuderkurs getauscht wird, könnte durch eine Limitierung der Bargeldauszahlung von Sparkonten zumindest behindert werden. Inzwischen gab die DDR erste Ausfuhrbeschränkungen bekannt: Der Export von Antiquitäten und Gebrauchtwaren wird mit sofortiger Wirkung eingestellt - bis zum Vorliegen einer mit Kulturminister Keller abgestimmten Regelung.

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