„Relativ natürlicher Partner BRD“

■ SED-Ökonom Kodziolek über „Säulen“ der Wirtschaftsreform in der DDR / „Kapital machen, nicht „Kapital“ lesen“

Ost-Berlin (taz) - Seit einer Woche ist Glasnost auch im SED -Zentralkomitee in der Nähe des Ostberliner Spittelmarktes institutionalisiert. Dort hat die Partei ein „Informations und Konsultationszentrum“ eingerichtet, symbolträchtig nicht mit der Adresse Unterwasserstraße, an der das ZK -Hauptgebäude liegt, sondern ein paar Türen weiter in der Oberwasserstraße 12. Für das erste öffentliche Podiumsgespräch des Zentrums war mit dem Thema Zur Kritik der politischen Ökonomie gleich die Diskussion um die Wirtschaftsreform angesetzt, und rund 200 BesucherInnen mochten sich die Ausführungen von Helmut Kodziolek nicht entgehen lassen, der das SED-„Zentralinstitut für sozialistische Wirtschaftsführung“ leitet, seit langem ein einflußreicher Regierungsberater ist und auch am Aktionsprogramm der SED mitgearbeitet hat, das die Partei vor zwei Wochen veröffentlichte.

Die SED habe „durchaus noch kein klares Konzept für Wirtschaftsreform“, sondern erst Säulen, räumte Kodziolek allerdings gleich ein. Für ihn gibt es drei Probleme, die seit der Mitte der siebziger Jahre „aus den Fugen geraten“ und jetzt gleichzeitig in Ordnung zu bringen seien: Die Struktur der Investitionen müsse überprüft, der Export „radikal profiliert“ und die Kaufkraft der Menge der produzierten Güter angepaßt werden. Um dies zu erreichen, müsse überall der „realisierte Gewinn“ zum entscheidenden Maßstab werden. Diesen Gewinn zu steigern, sei nur bei Durchsetzung des Leistungsprinzips möglich.

Da meldete selbst einer der anwesenden ZK-Kandidaten, ein FDJ-Funktionär, Kritik an: Das werde in der Partei doch schon seit Jahren diskutiert, praktikable Umsetzungen habe es bisher nicht gegeben. Konkreter wurde Kodziolek dann doch, als es um einzelne Streitpunkte ging: Er kann sich Gemeinschaftsunternehmen mit nicht mehr als 49prozentiger ausländischer Beteiligung vorstellen, ebenso eine „feste Verklammerung mit einem relativ natürlichen Partner, der BRD“. Beeindruckt zeigte sich Kodziolek allerdings vom langen Beitrag eines erbosten jungen Beschäftigten der DDR -Außenhandelsbank, der beschrieb, welche rechtlichen und politischen Schritte erst noch unternommen werden müssen, bis die ersten Joint-ventures abgeschlossen werden können.

Gegen Inflation hat Kodziolek keine Bedenken, wenn die zentrale Frage sei: „Wird die Leistungsfähigkeit so groß sein, daß sie die Inflationsrate auf wichtigen Gebieten übersteigt?“ Zur Frage, ob er auch die Pleite von Unternehmen zulassen würde - heftiges Kopfnicken unter den BesucherInnen - blieb Kodziolek wiederum undeutlich: „Durchgreifend“ sei dafür zu sorgen, „daß bei einem Abwärtstrend auch der Stuhl runtergeht“. Die Frage, ob es bei einem Warenmarkt nicht auch einen Arbeitsmarkt geben müsse, beantwortete er ausweichend. Arbeitslosigkeit soll es aber nicht geben: „Zum alternativen Sozialismus gehört die Vollbeschäftigung.“

Und eine „Marktwirtschaft, die einen Planansatz hat“, will Kodziolek, der sich heftig mit einem pensionierten früheren Ökonomen der staatlichen Planungskommission herumstritt, der auf dem Marxschen Kapital als Pflichtlektüre beharrte. Kodziolek: „Unsere Hauptaufgabe ist es nicht, das Kapital zu lesen, sondern Kapital zu machen - als Sozialisten“, fügte er noch schnell hinzu.

Wenig zufrieden zeigten sich die ZuhörerInnen angesichts solcher Sprüche; moniert wurde auch das weitgehende Fehlen von verläßlichen volkswirtschaftlichen Zahlen. Da zeigte SED -Glasnost seine Grenzen: Der Wirtschaftsprofessor verwies wiederholt auf Papiere in seiner Aktentasche und in seinem Institut, denen zu entnehmen sei, welche Güter künftig noch lohnend exportiert werden könnten oder wie hoch die realen Gestehungskosten ausgewählter Waren seien. Doch die gelten als geheim, ihre Bekanntgabe sei mithin verboten.

diba