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Siemens sorgt für „drüben“

■ Vorstandsmitglied Neglein verriet Klaus Wedemeier seine Pläne für die DDR

Der argumentative Spagat gelang wieder einmal mühelos: Natürlich ist die DDR souverän in ihren Entscheidungen und natürlich braucht sie sich von niemandem hereinreden zu lassen. Will sie aber westliche Hilfe, um ihre marode Wirtschaft zu sanieren, dann muß sie den Demokratisierungsprozeß vorantreiben und darüber hinaus entsprechende „Rahmenbedingungen“ schaffen.

Hans Gerd Neglein, Vorstandsmitglied des drittgrößten bundesdeutschen Industriekonzerns und am letzten Donnerstag zu Gast beim Bremer Dialog der Friederich-Ebert-Stiftung, präsentierte den etwa achtzig geladenen Gästen im Park-Hotel fix und fertige Schubladen-Konzepte, mit denen der Elektro -Multi dem anderen Teil Deutschlands wieder auf die Beine helfen will. Die Ereignisse nach dem 9.November waren für den Spitzen-Manager, dessen Unternehmen allein in Bremen mit 2.300 Mitarbeitern und 400 Millionen Mark Umsatz präsent ist, jedoch zunächst eine willkommene Gelegenheit, mit dem Kommunismus als solchem abzurechnen.

Margret Thatchers Wort vom Kommunismus als „schrottreifem Auto“ sei eine Zustandsbeschreibung, die die derzeitige Situation im Ostblock wohl am treffendsten charakterisiere, erklärte der Siemens-Mann unter dem Beifall der Zuhörer. Neglein, überzeugt, daß die bundesdeutsche Industrie größere Gewinne braucht, setzt in der DDR auf eine „Evolution der Köpfe“, die sich zunächst vollziehen müsse, bevor ein Unternehmen wie Siemens ans Werk gehen kann. Daß der Weltkonzern jedoch bereits in den Startlöchern sitzt, steht außer Frage: In den Bereichen Industrieautomatisierung, Nachrichtentechnik, Energieerzeugung und Datenverarbeitung könne Siemens innerhalb kürzester Zeit in der DDR mit Rat und Tat zur Stelle sein. Die eher kleinlaute Frage von Bürgermeister Klaus Wedemeier, wie denn das gewaltige Rüstungspotential der bundesdeutschen Industrie umgerüstet und als Hilfe für die DDR genutzt werden könne, schien für den Spitzenmanager von nachrangiger Bedeutung zu sein: „Ökologie ist derzeit wichti

ger als Rüstungskontrolle, die Waffenproduktion unseres Unternehmens ist ohnehin nur gering“, setzte Neglein die Siemens-Prioritäten, allerdings ohne seine Antworten auf die ökologischen Herausforderungen zu erläutern.

Einwände eines Vertreters der Bremer Arbeitsloseninitiative, wonach nicht nur die DDR, sondern auch die Bundesrepublik in einem schrottreifem Zustand sei, indem sie Arbeitslosigkeit und Armut produziere, konterte Neglein mit persönlichen Erinnerungen an das deutsche Wirtschaftswunder: „Ich habe selber bei Siemens als Lehrling angefangen und mich nach oben gearbeitet“, empfahl der Aufsichtsrat sich selbst als gutes Beispiel. Und noch ein letztes Wort von Siemens zum leidigen Thema Arm und Reich: „Wir leben heute in einer relativ klassenlosen Gesellschaft“, erklärte Neglein unbeirrt. Die relativ klassenlose Gesellschaft im großen Saal des Park-Hotels nahm es mit Applaus zur Kenntnis und verabschiedete sich in Richtung kaltes Buffet.

Martin Jahrfeld

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