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Spritzen im Knast sind möglich und nötig

■ Juristisches Gutachten im Auftrag der Grünen / Ermessensspielraum nutzen / „Untätigkeit der Justzibehörden kaum zu rechtfertigen“

Sterile Einwegspritzen auch innerhalb des Knastes für die drogenabhängigen Gefangenen zur Verfügung zu stellen, ist nach der Gesetzeslage weder durch Gebote noch durch Verbote vorentschieden - also möglich. Und überaus notwendig. Zu diesem Schluß kommt ein Rechtsgutachten, das Dr. Wolfgang Lesting von der Bremer Universität im Auftrage der Grünen erarbeitet hat.

Außerhalb des Vollzugs hat sich inzwischen auch international die Vergabe steriler Einwegspritzen als einer der wichtigsten Beiträge zur Aids-Vorbeugung durchgesetzt; Bremen war zeitweilig Vorreiterin mit den Spritzenautomaten. Auch innerhalb der Mauern, so Lestings Ergebnis, wird die Spritzenvergabe „von der herrschenden Meinung“ unter JuristInnen nicht als strafbar angesehen. Dennn nur die Art des Konsums, nicht aber dessen Menge würde durch Spritzen beeinflußt: „An die Stelle der gemeinsam benutzen Spritzen oder Kugelschreiberminen etc. würde die sterile Spritze treten“. Gegen eine befürchtete Ausweitung des Drogenkonsums könnte darüber hinaus die Vergabe im Austausch alt gegen neu erfolgen.

Umgekehrt läßt sich allerdings auch keine Verpflichtung der Justizbehörden zur Spritzenvergabe juristisch festmachen, etwa mit den Argumenten des Seu

chengesetzes, der „unterlassenen Hilfeleistung“ oder der besonderen Pflicht der Anstalt zur Gesundheitsfürsorge.

Wenn also die Vergabe steriler Spritzen für die Anstalten weder strafbar noch verpflichtend ist, sind die Kriterien für den Ermessensspielraum zur Aids-Prävention zu prüfen. Ein Kriterium ist die „Verhältnismäßigkeit“ gegenüber den Folgen und im Vergleich mit anderen Maßnahmen. Die Vergabe könnte sinnlos und damit unverhältnismäßig sein, wenn etwa durch den Ritus der gemeinsamen Benutzung der Spritzenbestecke das Infektionsrisiko durch saubere Spritzen gar nicht gesenkt werden könnte. Diesem Argument stehen in und ausländische Erfahrungen entgegen, die angesichts der Aids-Gefahr eine erhebliche Verringerung des „needle -sharing“ konstatieren. Eine „nachteilige Nebenfolge“ wäre es auch, wenn die sauberen Spritzen zusammen mit den alten als „infektionsträchtige Stationspumpen“ in den allgemeinen Umlauf kämen, statt gefahrlos entsorgt zu werden. Nach holländischem Vorbild könnte durch Tausch-Automaten (neu nur gegen alt) erstens entsorgt und zweitens die Zahl der Spritzen konstant gehalten werden. Eine leichte und anonyme Zugänglichkeit wäre möglich, ohne das Knastpersonal in die Vergabe ein

beziehen zu müssen. GegnerInnen der Spritzenvergabe führen immer wieder die Gefahr des „Anfixens“ Nichtsüchtiger ins Feld. Hier muß laut Gutachter Lesting abgewogen und zugunsten der Verhinderung von HIV-Infektionen entschieden werden. Außerhalb des Knastes ist diese Frage längst zugunsten der Einwegspritzen entschieden, sowohl von der Aids-Kommission des Bundestages als von den GesundheitsministerInnen der Länder. Und Kondome werden inzwischen zur Aids-Vorbeugung längst im Knast kostenlos ausgegeben, obgleich Homosexualität auch nicht gerade im Vollzugsplan vorgesehen ist.

Die auch von der Bremer Behörde schon erwogene Verteilung von Desinfektionsmitteln ist nach Lesting zwar unauffälliger, aber nicht das mildere Mittel. Ungeklärt sind Gesundheitsfolgen durch Rückstände, und ein „Schritt zur Legalisierung, zumindest aber Tolerierung“ der Drogen im Knast wäre ebenso und mit allen Folgen gegeben.

Die Vollzugsbehörden sind, zweites Kriterium der „Verhältnismäßigkeit“, gesetzlich verpflichtet, „die Lebensbedingungen innerhalb der Mauern so weit wie möglich an die außerhalb anzugleichen ('Angleichungsgrundsatz‘) und aktiv zum Ausgleich vorhandener Unterschiede

tätig zu werden“. Je weiter sich Einwegspritzen als Prävention außerhalb des Vollzuges durchsetzen, desto enger wird der Entscheidungsspielraum der Justizbehörden, folgert Lesting. Da erhebliche Anhaltspunkte für die Wirksamkeit der Maßnahme bestehen und andere (Zwangstests, Isolierung etc.) höchst ungeeignet sind, „ist die Untätigkeit der Justizbehörde kaum zu rechtfertigen“. Neben anderen unverzichtbaren Maßnahmen müsse die Spritzenvergabe „zumindest versuchsweise“ eingeführt werden.

Daß unbedingt der Gedanke der Aids-Vorbeugung im Vordergrund stehen und die Vergabe steriler Spritzen gewagt werden

müsse, hat die grüne Abgeordnete Carola Schumann schon in der Aids-Debatte der Bürgerschaft 1987 gefordert. Schumann gestern zur taz: „Bei einer Abwägung muß der Lebensschutz absoluten Vorrang haben. Es geht nicht an, daß Menschen wegen einer Bagatelle in den Knast kommen und mit einer tödlichen Krankheit wieder entlassen werden. Daß das rechtlich möglich ist, hat das fundierte und unpolemische Gutachten nachgewiesen.“ S.P

Das Gutachten mit allen hier nicht erwähnten juristischen Einzelheiten und Verweisen auf die einschlägige Literatur ist bei den Grünen einzusehen.

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