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„Dies ist ein Wortbruch-Senat“

■ Flughafenanrainer klagen: Senat verlängert die Startbahn ohne Rücksicht auf verbrieftes Recht und gute Sitten

Würden Sie von Klaus Wedemeier oder Konrad Kunick einen Gebrauchtwagen kaufen? Die Familie Wähmann hat diese Frage für sich beantwortet: mit einem eindeutigen Nein. Und Familie Wähmann kann eine Geschichte erzählen, die ihr Mißtrauen nachvollziehbar macht. Die Wähmanns haben große Ländereien zwischen der Neuenlanderstraße und der Ochtum. Seit dem Jahr 1759 haben ihre Vorfahren dort einen Hof bewirtschaftet, auch Heinz und Claudia Wähmann betreiben dort, inzwischen an der Peripherie des Bremer Flughafens, Landwirtschaft. Bis 1987 hatten sie ein recht gutes Verhältnis zu den Betreibern des Flughafens. Zwar klagten sie über die Lärmbelastung besonders auch durch Privatflieger, die im Tiefflug über den Hof donnerten, aber sie konnten sich sicher sein: Größer wird der Flughafen nimmer. Denn im Grundbuch ist es schriftlich verbrieft: Die Wähmanns haben das Recht, der Stadt Bremen zu verbieten, daß dort Start-, Lande-oder Zurollbahnen für jeglichen Flugverkehr gebaut wer

den. Das Grundstück, um das es dabei geht, hat Wähmann zwar im Tausch an die Stadtgemeinde Bremen abgegeben. Um aber sicherzustellen, daß die Stadtgemeinde den Flugverkehr nicht noch näher an die Wohnbebauung heranbringt, ließ er eine sogenannte „Grunddienstbarkeit“ eintragen, ein „unverbrüchlich geltendes Recht“, wie Rechtsanwalt Axel Adamietz gestern auf einer Pressekonferenz feststellte. Dazu hatten Adamietz und Claudia Wähmann eingeladen, nachdem der Senat in der vergangenen Woche endgültig klargemacht hatte, daß ihn dieses Recht nicht weiter schert. Denn in einer amtlichen Bekanntmachung ist festgeschrieben, daß die 300 Meter lange Sonderstartfläche für MBB Richtung Osten von diesem Recht ausgenommen sei, eine „Teilenteignung“, so Adamietz. Und damit die Familie Wähmann oder andere diesen Ausbau nicht durch lange Rechtsstreitigkeiten vor den Verwaltungsgerichten blockieren, hat der Senat die sofortige Vollziehbarkeit angeordnet. Dagegen könnten die Wähmanns im

merhin noch einen Eil antrag einbringen. Alleine sie haben immer noch keine Unterlagen der Behörden zu Gesicht bekommen, gegen die sich klagen ließe. Erst vom kommenden Montag liegen die Unterlagen in vier Ortsämtern aus. Dann bliebe zwar bis zum 11. Januar Zeit, ein Eilverfahren einzuleiten, allerdings sollen schon im Dezember die Baumaschinen anrollen, wie Frau Wähmann über entsprechende Aussagen des Flughafendirektors zu berichten wußte. Adamietz über die Vorgehensweise des Se

nats: „Gibst Du mir das nicht freiwillig, gebrauche ich Gewalt.“

Hintergrund dieser Bewertung: Im Herbst 1987, gleich nach den Wahlen, hatte der Senat die Verlängerung angekündigt. Doch zu keinem Zeitpunkt wurde mit Wähmann tasächlich verhandelt. Der Bauer wurde letztendlich vor vollendete Tatsachen gestellt (vgl. Interview unten auf der Seite). Im Verwaltungsrecht hat Adamietz keine jurstische Handhabe gegen den Planungsgalopp des Senats gefunden. Trotzdem hat er gestern das Oberverwal

tungsgericht angerufen, den Rechtsschutz der Wähmanns wieder herzustellen. „Das Gericht muß dabei das Recht aus dem Grundgesetz schöpfen.“

Die Wähmanns fürchten weniger den Abtransport des Airbusflügels. Was sie schreckt, ist die Aussicht, daß auch andere Nutzer auf dem zusätzlichen Beton starten und landen wollen. Daß der Senat dann standhaft bleibt, glaubt Adamietz nicht. Seine Schlußfolgerung aus Wähmanns Erfahrungen: „Dies ist ein Wortbruch-Senat“.

hbk

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