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Görings Jagdbesuch unterschlagen

■ Ablehnung des „Fritz-Sänger-Preises“ löst Diskussionen über Gleichschaltung der Presse im Natinalsozialismus aus

Für „mutigen Journalismus“ wollte die SPD dem ehemaligen SWF -Redakteur Wolfgang Moser im Frühjahr den „Fritz-Sänger -Preis“ verleihen, doch Moser lehnte ab. Er wolle keine Auszeichnung im Namen eines Journalisten annehmen, der „Teil des nazistischen Lügensystems“ gewesen sei, begründetet Moser seine Entscheidung. Die SPD beauftragte jetzt einen Zeitungshistoriker, zu klären, ob Sänger tatsächlich die nur mit einem Kürzel gekennzeichneten Artikel geschrieben hat, für die ihn Moser verantwortlich macht.

Neue Brisanz hat durch diesen Streit auch die Arbeit der Publizistik-Wissenschaftlerin Gabriele Toepser-Ziegert erhalten. Seit 1979 beschäftigt sie sich am Institut für Zeitungsforschung in Dortmund mit der „Sänger-Sammlung“: geheime Pressanweisungen aus dem Propagandaministerium, die Sänger in ein Versteck schmuggelte. Sie geben Aufschluß über die Desinformationspolitik unter dem Hakenkreuz.

Seit Juli 1933 rief das sogenannte Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda am Berliner Wilhelmplatz täglich um die Mittagszeit rund 150 Korrespondenten der Hauptstadtzeitungen und überregionalen Blätter zusammen. Hier gab ihnen Minister Goebbels ihre Anweisungen: detaillierte Instruktionen des Regimes, welche Themen wann und in welcher Aufmachung in den Zeitungen zu behandeln seien.

Anweisung Nr.1050 vom 21.Januar 1935: „Über einen etwaigen Jagdbesuch des preußischen Ministerpräsidenten Göring in Polen soll in der Presse vorläufig nichts gemeldet werden.“

Anweisung Nr.629 vom 18.Mai 1938: „Auf die militärische Bedeutung der Straßen und Bauten, die jetzt in Österreich errichtet werden, darf nicht mehr eingegangen werden.“

Die Korrespondenten, denen das Ministerium die Teilnahme an den Konferenzen erlaubte, mußten diese Anordnungen mitschreiben und unter strenger Geheimhaltung an ihre Redaktionen übermitteln. Die Redakteure sollten sie, sobald sie die Tagesparolen gelesen hatten, sofort verbrennen oder in den Papierwolf werfen. Die Vernichtung mußte in einem Protokoll festgehalten werden, das der Chefredaktur, damals Hauptschriftleiter genannt, und ein Zeuge zu unterschreiben hatten.

Fritz Sänger, seit 1935 Journalist bei der 'Frankfurter Zeitung‘, verstieß gegen diese Anordnung. Seine Mitschriften der Goebbels-Konferenzen übergab er Wilhelm Thomas, einem von den Nazis entlassenen Lehrer, der sie im Gifhorner Moor im heutigen Niedersachsen vergrub. Nach Kriegsende wurden sie auf Anordnung der englischen Besatzungstruppen ans Tageslicht geholt, um schon bald wieder im Dunkel der Archive zu verschwinden. Dort blieben sie, bis das Dortmunder Institut damit begann, eine Edition der Sänger -Sammlung anzulegen und zu dokumentieren, inwieweit die Zeitungen die Anweisungen von oben befolgt hatten.

Fritz Sänger, nach dem Krieg Chefredakteur der Deutschen Presseagentur und in den sechziger Jahren Mitglied des Fraktionsvorstandes der SPD, hat das Vorwort zu der mehrbändigen Edition geschrieben.

Kernthese der zehnjährigen Forschungsarbeit von Gabriele Toepser-Ziegert: Die Geschichte von der totalitären Gleichschaltung der Presse im nationalsozialistischen Deutschland ist eine Legende. Sie sei, so die Wissenschaftlerin, erfunden und nach dem Zweiten Weltkrieg aufrecht erhalten worden, in der „Zwangsjacke“ habe sie aber entgegen weitverbreiteter Auffassung nie gesteckt. Die Zeitungen, die nicht wie die Organe von SPD und KPD verboten worden seien, hätten ihre politische Grundtendenz der Weimarer Zeit beibehalten.

Trotz Reglementierungen auf allen Ebenen, Berufsverboten, Papierrationierung und der systematisch betriebenen Schließung Hunderter von Verlagen seien in der bürgerlichen Presse unterschiedliche Meinungen zu Wort gekommen und zahlreiche Anordnungen nicht befolgt worden.

Die Strafen für abweichende Berichterstattung sind der Quellenforschung zufolge nicht so lebensbedrohlich gewesen, wie es rückschauend oft dargestellt wird. Zwar wurden Strafen häufig angedroht und einzele Blätter zur Abschreckung auf der Konferenz verwarnt, Beispiele dafür, daß Journalisten tatsächlich bestraft wurden, finden sich aber nur selten.

Ökonomische und institutionelle Instrumente wirkten effektiver, um die Meinungsführerschaft zu sichern, als die vielen täglichen Versuche, den Inhalt von Artikeln zu diktieren. Die Zeitungslandschaft und die Arbeitsbedingungen der Journalisten wurden innerhalb von Monaten so verändert, daß sich Sanktionen gegen einzelne Redakteure erübrigten. Linke und jüdische Publizisten hatten Berufsverbot, bürgerliche ließen sich von den Nazis funktionalisieren. Auch die ehemals linksliberale 'Frankfurter Zeitung‘, für die Fritz Sänger schrieb, paßte Goebbels ins Konzept: Sie diente als Aushängeschild gegenüber der ausländischen Öffentlichkeit.

Ute Bertrand

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