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Fang ihn ab, eh‘ er stirbt!

■ John Clellon Holmes‘ Jazzroman „Der Saxophonist“

In den vierziger Jahren haben die Schwarzen in Amerika zumindest musikalisch - die Welt verändert. Zwischen 1941 und 1944 wurde irgendwann aus dem Swing der Bebop geboren, und damit war die ursprüngliche Trennung des Jazz wiederhergestellt. Musiker wie Lester Young, Charlie Parker, Thelonious Monk, Dizzy Gillespie, Kenny Clarke und Charlie Christian rissen mit ihrem harten, antiassimilatorischen Sound den Jazz aus dem Mainstream der amerikanischen Kultur und schockten die (schwarze) Mittelkasse wie das (weiße) Establishment. Diese Generation wollte nicht mehr einverstanden sein mit den bestehenden Verhältnissen und stellte sich bewußt mit ihrer Art Musik ins Abseits. Für sie war Jazz wieder zur „Sache der Neger“ geworden. Sie begann „den Wert des Landes und der Gesellschaft zu begreifen“, wie LeRoi Jones das formulierte. „Zu begreifen, daß man schwarz ist in einer Gesellschaft, in der schwarz zu sein eine extreme Belastung bedeutet, ist eins; aber zu begreifen, daß es die Gesellschaft ist, die mangelhaft und wegen dieses Mangels auf ungeheure Weise deformiert ist und nicht man selbst, isoliert einen noch mehr von dieser Gesellschaft.“

Der Bebop, der Begriff entstand als onomatopoetische Charakterisierung eines rhythmischen Elements der Musik, implizierte nicht nur soziale Umwälzungen, die Beboper waren auch die ersten Musiker, die sich selbst als seriös verstanden und ihre Musik als Kunst begriffen. Zur Geburtsstätte und zum Schmelztiegel dieser neuen Musik avancierte der Harlemer Nachtklub „Minton's Playhouse“, in dem sich eine kleine Gruppe dieser „Sektierer“ traf, um am Tag in endlosen Gesprächen die theoretischen Konzepte zu entwickeln und am Abend in gemeinsamen Jam Sessions die Musik zu revolutionieren.

Unter den jungen (schwarzen und weißen) Amerikanern wurde Bebop zum Synonym eines tief empfundenen Nonkonformismus, zum „Kult des Schutzes und der Rebellion“ (LeRoi Jones). Die Beboper nahmen in der Musik vorweg, was sich unter ästhetischen Analogien in anderen Bereichen der Kunst fortsetzte. Maler wie Jackson Pollock, Willem de Kooning oder Franz Kline und die Literaten der Beat-Generation haben sich immer wieder auf den Bebop berufen.

Diese Hintergründe zu kennen ist nicht Voraussetzung, aber doch hilfreich, um Holmes‘ jetzt wiederveröffentlichten Jazzroman Der Saxophonist zu goutieren und auch in seiner politischen Bedeutung einordnen zu können. Holmes war einer der ersten Beat-Autoren. Neben Romanen hat er vor allem zahlreiche Essays publiziert, in denen er die literarischen und ideologischen Merkmale der Beat-Generation untersucht. Der Saxophonist ist somit nicht nur eine Hommage an die Bebop-Szene, sondern auch als Vermächtnis einer rebellischen Jugend zu lesen.

Am Anfang des Romans weist Holmes ausdrücklich darauf hin, daß alles im Buch Fiktion ist. Jazzkenner können allerdings gar nicht anders, als zwischen den Zeilen zu lesen, es ist auch zu offensichtlich, welche real existierenden Musiker den fiktiven Personen mit ihren Biographien Leben eingehaucht haben. Unterteilt ist der Roman in Chorusse und Riffs. Jedem der sechs Protagonisten ist ein Solo gewidmet, die Riffs sorgen für den roten Faden, so wird aus Einzelschicksalen, gemäß der Musik, die das Buch feiert, eine „Kollektiv-Improvisation über ein amerikanisches Thema“.

Der junge Saxophonist Walden Blue wacht eines Nachmittags auf, blinzelt in die Oktobersonne New Yorks - „die Stadt aller Städte, Big Apple, der 'Große Apfel‘ (wie Jazzmusiker, ohne das verhängnisvoll Treffende dieser biblischen Anspielung zu ahnen, New York im Scherz nannten), die Stadt, die sich nur von den Größten beeindrucken läßt; alle anderen würdigt sie nicht einmal der Vernichtung“ - und erinnert sich plötzlich an die Nacht, in der er bei einer Jam Session gegen den legendären Edgar Pool, allen als „The Horn“ bekannt, angetreten ist und ihn an die Wand gespielt hat. Es war der Anfang vom Ende der kurzen, aber ruhmvollen Karriere Pools gewesen, der irgendwann einmal die Genesis des Bebop gewesen war, „nun aber, unnatürlich, schlaff und kaugummikauend, blies er - Ironie seines Niederganges - die bitterzarte Melodie des Ekklesiasten“.

An den beispielhaften Biographien von fünf anderen Jazzgrößen entwirft Holmes ein facettenreiches, authentisches Bild jener Zeit und skizziert gleichzeitig den Werdegang, den mühsamen Aufstieg und den erschütternden Niedergang des Tenorsaxophonisten Edgar Pool (dessen Biographie in groben Zügen identisch ist mit der von Charlie Parker), indem er die anderen in großen Rückblenden von ihren Begegnungen mit Pool berichten läßt.

Es ist die Geschichte eines schwarzen Jungen, der in zerrütteten Familienverhältnissen in Kansas City aufwächst, von zuhause wegläuft, als Eisenbahnhobo kreuz und quer durchs Land gondelt, sich irgendwann 30 Dollar zusammenschnorrt, von diesem Geld ein Saxophon kauft und damit die Musikgeschichte umkrempelt, indem er etwas spielt, was sich elementar von dem unterscheidet, was Jazzmusiker vor ihm gespielt haben. Wie bei allen Neuerern lautet auch sein Credo: „Der Kanon, das Gesetz, sie gelten für mich jetzt nicht mehr. Ich weiß, daß dies hier getan werden muß und daß es sich nicht mit den Regeln vereinen läßt.“

Nach ein paar Jahren des Erfolgs bahnt sich dann, hervorgerufen durch Alkohol- und Drogenexzesse, der unaufhaltsame Abstieg an. Die letzten beiden Kapitel beschreiben ein einziges großes Delirium. Edgar stolpert total besoffen durch die Straßen und Bars von New York, verzweifelt auf der Suche nach jemandem, der ihm das Geld für die Rückreise nach Kansas City gibt. Sein Körper ist vom Alkohol zerstört, sein Geist ist desillusioniert und ausgebrannt, seine Kreativität leergespielt, von den wenig verbliebenen Freunden wird er bemitleidet, von den Klubbesuchern und jüngeren Kollegen verspottet, verhöhnt und ausgelacht. Ein letzter, furchtbarer, verzweifelter Versuch, das Blatt doch noch einmal zu seinen Gunsten zu wenden, sich noch einmal zur alten Größe aufzuschwingen, scheitert kläglich und endet letztlich im Tod. In Erinnerung bleibt nur das „Gesicht eines Belagerten, der vergessen hat, wie man kapituliert, oder der es nie wußte“. Tags darauf tauchen die ersten Graffitis auf: „Das Horn spielt weiter.“ Die wirklichen Helden sind unsterblich. „Was macht es schon aus, daß er schwarz war an Seele und Haut, daß er dich, Amerika, manchmal gehaßt hat und daß er, wie alle deine Helden, so tief gefallen ist... gleichviel, was ihnen den Rest gegeben hat. Sie haben einmal die Wahrheit gespielt.“

Wolfgang Rüger

John Clellon Holmes, Der Saxophonist, übersetzt von Horst Dölvers und Werner Burkhardt, Maro Verlag, 204 Seiten, 28 Mark.

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