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Starb die Hoffnung mit Moawad?

Die Ermordung des frischgewählten libanesischen Staatschefs Rene Moawad wirft das Land vielleicht wieder in den ausweglosen Bürgerkrieg zurück / Moawad wollte „Regierung der Nationalen Einheit“ bilden  ■  Von Petra Groll

Berlin (taz) - Nach nicht mehr als 17 Tagen Amtszeit wurde am Mittwoch der libanesische Staatschef Rene Moawad ermordet. Bei der gewaltigen Explosion von rund 250 kg Sprengstoff, die detonierten, just als der Präsidentschaftskonvoi das Versteck - ein leerstehendes Geschäft an einer der Westbeiruter Hauptverkehrsstraßen passierte, kamen weitere 17 Menschen ums Leben. Mehr als 30 Personen wurden verletzt. Ministerpräsident El-Hoss und Parlamentspräsident El-Husseini entgingen dem Anschlag mit knapper Not. Noch in dieser Woche, die zur nationalen Trauerzeit erklärt wurde, soll das libanesische Parlament zusammenkommen, um einen neuen Präsidenten zu wählen. Die Sitzung soll im nordlibanesischen Klaiyat stattfinden, wo am 5.11. auch Moawad gewählt und vereidigt worden war.

So infam das Attentat ist, so geschickt scheint auch die zeitliche Planung des mörderischen Anschlags: Der Präsident verließ nämlich einen Staatsempfang anläßlich des 46. Jahrestages libanesischer Unabhängigkeit. Das diplomatische Corps hatte seine Aufwartung gemacht und den libanesischen Führungspolitikern die besten Wünsche für den x-ten Versuch eines politischen Wiederaufbaus des notorischen Krisenstaates ausgesprochen. Der Zeitpunkt der Feierlichkeiten stand fest, Moawad, der seit seiner Wahl geschützt wird wie ein Augapfel, benutzte immer den einen Heimweg. Die Bombe wurde ferngesteuert.

Könnte das Land sich in Tränen auflösen, dieser Mittwoch abend wäre sein letzter gewesen. Selim El-Hoss brach vor laufenden Kameras schluchzend zusammen, als er zwei Stunden nach dem Attentat den Tod Moawads offiziell bestätigte. „Es ist eine nationale Katastrophe.“ El-Hoss, langjähriger Spitzenpolitiker des sunnitischen Lagers und ein gestandener Verwalter der immer neuen Krisen, war von Präsident Moawad erst vor einer Woche beauftragt worden, eine „Regierung der Nationalen Einheit“ zu bilden.

Bestürzung äußerten auch die Größen der Weltpolitik, und gleichzeitig die naheliegende Befürchtung, daß ein neuerlicher Kriegsausbruch für den Libanon vielleicht einziger Ausweg sein könnte. Noch in der Nacht wurde eine informelle Sitzung des Weltsicherheitsrates anberaumt. US -Präsident Bush, der Präsident Moawad noch vor wenigen Tagen persönliche Unterstützung versichert hatte, kündigte Amerikas Hilfe an bei dem „in diesem Teil der Welt so schwierigen Unterfangen“, den oder die Urheber des Attentates zur Verantwortung zu ziehen.

Die amtliche syrische Nachrichtenagentur 'sana‘ sah sofort den „Renegatengeneral“ Michel Aoun als Drahtzieher des „abscheulichen Verbrechens gegen Libanon und die libanesische Rechtsstaatlichkeit“. Fast erwartungsgemäß wurde von französischer Seite, die häufig als notorisch blind bezeichnet wird, wenn es um die Politik der libanesischen Christenminderheit geht, die Schuld ins Lager extremistischer Moslems, wie der schiitischen Hizbollah gewiesen. Das Europarlament in Straßburg bezeichnete den Anschlag als „Attentat gegen die Hoffnung“.

Nach 15 Jahren blutiger Kriegsgeschichte mit 150.000 Opfern, darunter auch Spitzenpolitiker oder gar Staatspräsidenten, scheint heute der gewaltsame Tod einem Hoffnungsträger so nahe wie sein Schatten. Der 64jährige Rene Moawad, ein maronitischer Christ aus dem Norden des Landes, stand für die jüngst im saudi-arabischen Taif abgeschlossenen Verhandlungen der libanesischen Parteien um ein weitreichendes Reformpaket. Das sollte der zukünftigen „Regierung der Nationalen Einheit“ als Grundlage dienen, das zerrüttete Land vor der endgültigen Spaltung zu retten. Moawads politischer Werdegang begann Ende der 50er als diplomatischer „Feuerwehrmann“ und hätte als „Präsident der Hoffnung und der Verständigung“, als der er schon gefeiert wurde, einen grandiosen Höhepunkt erreicht.

Das „Abkommen von Taif“ - am 22. Oktober fast einstimmig von moslemischen wie christlichen Abgeordneten unterzeichnet - hatte erst den Weg geebnet, einen neuen Staatspräsidenten zu wählen, nachdem die Amtszeit Amine Gemayels im Herbst 1988 abgelaufen war. Mehr als ein halbes Jahr hatte der mißglückte Präsidentschaftskandidat und Chef des christlichen Armeeflügels, General Michel Aoun, das ganze Land in einen aussichtlosen Krieg gegen die syrische Besatzung verwickelt. Für die libanesischen Christen war dies zugleich ein Krieg zur Aufrechterhaltung der Vorherrschaft über die moslemische Bevölkerungsmehrheit.

Die 46jährige Hegemonie der maronitischen Christen wird mit den Reformvorhaben des „Abkommen von Taif“ beendet. Dort sind von den libanesischen Maroniten lange und hartnäckig verweigerte Änderungen des verfassungsähnlichen konfessionellen Proporzsystems zugunsten der Moslems vorgesehen. Den Rückzug der ca. 35.000 syrischen Truppen sieht das „Abkommen von Taif“ zwei Jahre nach der Abstimmung über Verfassungsreformen vor.

Gegen das Reformprogramm konnte General Aoun, der sich weiterhin als Aspirant für die Präsidentschaft aller Libanesen versteht, nicht offen Front machen. Er verkaufte seine blindwütigen Artilleriebombardements auf den hauptsächlich von Moslems bewohnten Westteil Beiruts als „Befreiungskrieg“ gegen die mit den Moslems paktierenden Syrer. Nach dem Abkommen von Taif, das eine politische Lösung der libanesischen Konflikte versprach, den syrischen Rückzug projektierte und das mit der Realisierung der Präsidentschaftswahlen von den libanesischen Fraktionen als richtungsweisend angenommen wurde, mußte der General nicht nur einen nationalen Machtverlust hinnehmen. Selbst die USA kamen nicht umhin, sich hinter den neuen Präsidenten Moawad und die angestrebte Verwirklichung des „Abkommens von Taif“ zu stellen. General Aoun, der nach dem Attentat sein „Bedauern“ verlautbaren ließ, verweigerte dem Präsidenten den Palast von Baabda und die Anerkennung. Er erging sich gar in Drohungen, die ihm nach dem blutigen Anschlag vom Mittwoch nun vorgehalten werden müssen. Den Abgeordneten, die das „Abkommen von Taif“ unterstützten, sagte Aoun einmal, müsse die Kehle durchgeschnitten werden.

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