piwik no script img

Die heilige Kuh der Schweiz in Gefahr

■ Sonntag wird über eine "Schweiz ohne Armee" abgestimmt

Zwischen zwei Nachbarländern, das eine „gelb“, das andere „grün“, sind bewaffnete Feindseligkeiten ausgebrochen; das eigene Land wird von gewalttätigen Kundgebungen und Sabotageakten aufgewühlt. „Gelb“ fordert das Durchmarschrecht durch die Schweiz; die antwortet mit der Generalmobilmachung. „Gelbe“ Truppen überschreiten die Grenze. Das Szenario liegt der „Gesamtverteidigungsübung Dreizack“ zugrunde, bei der seit zwei Wochen 30.000 Soldaten, aber auch 20.000 Zivilisten, darunter ganze Schulklassen und Gemeindeverwaltungen, in den Grenzkantonen der Nordost-Schweiz das entschlossene Zurückwerfen fiktiver Eindringlinge durchexerzieren.

Doch die schwerste Schlacht steht der Armee erst nach Übungsende, nämlich an diesem Wochenende bevor: Nicht in der offenen Feldschlacht, wie es einer rechten Streitmacht gebührt, sondern, oh Schmach, an den Wahlurnen wird über Untergang oder Überleben der feldgrauen Zunft entschieden.

Die „Gruppe Schweiz ohne Armee“ (GSoA), ein Bündnis diverser Friedensgruppen, das hierzulande in einer Initiative „Bundesrepublik ohne Armee“ (BoA) Nachahmung gefunden hat, hat mit ihrer „Volksinitiative für die Abschaffung der Armee und für eine umfassende Friedenspolitik“ ein nationales Tabu gebrochen, hat die heiligste aller Kühe im Alpenland, die Armee, zur Disposition gestellt.

Zwar ist das zu erwartende Ergebnis - ein klarer Sieg der Armeesympathisanten - leicht vorauszusehen. Doch allein, daß es überhaupt zu dieser Abstimmung kommt, ist eine Sensation in einem Land, das gemeinhin als Inbegriff verbissener Wehrbereitschaft gilt. Da gerät ein Wahlkampf schnell zum Glaubenskrieg.

„Die Schweiz

ist eine Armee“

Gerade jetzt, da die weltweite Abrüstung in die Gänge komme und in Europa Blöcke und Feindbilder bröckelten, so die Befürworter der Initiative, sei die Abschaffung der Armee doch eine einmalige historische Chance. Für ihre Gegner jedoch steht gleich die nationale Identität auf dem Spiel, getreu dem Slogan: „Die Schweiz hat keine Armee, sie ist eine Armee.“ Auf Plakaten warnen die PatrIdioten denn auch: „Armee abschaffen Schweiz liquidieren“. Unbekannte klebten nächtens das Wörtchens „zivilisieren“ darüber.

Regierung und Parlamentsmehrheit halten dagegen, gerade die Umwandlungen in Osteuropa könnten zu Instabilitäten führen, deren friedlicher Verlauf nicht garantiert sei. Da könnte einer der Blöcke in einer unbewaffneten Schweiz ein bedrohliches Vakuum sehen.

Selbst wenn an diesem Wochenende nur ein knappes Viertel des Wahlvolkes gegen die Armee votieren sollte, so unken offizielle Stimmen in Bern, verliere das Bekenntnis zur bewaffneten Neutralität im Ausland schon an Glaubwürdigkeit und damit an abschreckender Wirkung, könnten potentielle Feindmächte womöglich am nationalen Wehrkonsens zweifeln. Genährt wird der Armeekult in der Schweiz bis heute durch die sorgsam gehegte Lebenslüge, nur die Armee habe zwischen 1939 und 1945 inmitten eines brennenden Europas die Friedensoase Schweiz gerettet; der brave Wehrmann auf der Rheinbrücke bei Bad Säckingen habe, den Karabiner bei Fuß, die Naziwehrmacht vom Einfall abgehalten.

Erst eine jüngere Generation kritischer Historiker weist neuerdings auf bisher meist diskret übergangene Aspekte jener Zeit hin: daß die Nazis ihr Raubgold nur über Zürcher Banken waschen konnten, von der schweizerischen Industrie schamlos mit Kanonen versorgt wurden und daß die Nachschubzüge der Achsenmächte ungehindert den ach so neutralen Korridor Schweiz passieren konnten. Die Soldaten der Eidgenossenschaft verteidigten derweil die Grenze vor allem gegen die Flüchtlingsströme aus Hitler-Deutschland.

Die einzigen Echteinsätze ihrer Geschichte absolvierte die Armee gegen unbewaffnete Zivilisten im eigenen Land: Während des Generalstreiks von 1918 schossen Miliz-Soldaten auf demonstrierende Arbeiter. Und 1933 wurden in Genf Teilnehmer einer antifaschistischen Kundgebung erschossen - Rekruten hatten in Panik in die Menge geballert.

Der „Säbel des Infanteristen“, so brachte schon 1905 die rechtsbürgerliche 'Neue Zürcher Zeitung‘ die Aufgaben der Armee ideologisch auf den Punkt, sei dazu bestimmt, „das Eigentum des Unternehmers“ gegen den „Knüppel des Streikenden“ zu verteidigen. Noch während der jahrelangen Auseinandersetzungen um das Mitte der siebziger Jahre bei Kaiseraugst geplante Atomkraftwerk, dessen Baubeginn durch eine Platzbesetzung verhindert wurde, dachten manche Politiker laut und ungeniert über den Einsatz von Armeeinheiten zur Sicherung des Bauplatzes nach.

„Der Einsatz der Armee für den Ordnungsdienst im Innern ist ausgeschlossen“, lautet denn auch eine Schlüsselforderung in dem „Programm zur Friedens- und Sicherheitspolitik“, mit dem die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SPS) die aktuelle Armeedebatte anreichert. Mit dem Papierchen mogeln sich die Sozis, ebenso wie die Gewerkschaften, gleichwohl um eine klare Stellungnahme zur Initiative herum. Die Sozis sitzen in der Zwickmühle. Einerseits sympathisiert ein großer Teil ihrer Anhängerschaft offen mit der Initiative; die Jungsozialisten gehörten zu den Gründern der GSoA. Andererseits verbietet die Rücksicht auf bodenständige Wählerkreise und vor allem Arbeitnehmer in der Rüstungsindustrie ein klares Votum gegen die Armee.

Die Sozialdemokraten ersparten sich eine innerparteiliche Zerreißprobe, indem sie - wie kurz darauf auch der Gewerkschaftsbund - auf einem Sonderparteitag die Stimmfreigabe beschlossen anstatt, wie in der Schweiz vor Volksabstimmungen üblich, eine offizielle Empfehlung für oder gegen die Initiative zu geben. (Eine Probeabstimmung auf dem Sonderparteitag hatte übrigens eine Mehrheit für die Armee-Abschaffungsinitiative ergeben.) Viele SPS -Parteigänger finden es äußerst peinlich, daß ihr Club zu einer derartigen Grundsatzfrage nun keine Parteimeinung hat. Mehrere lokale Parteigliederungen, so etwa in Zürich, riefen dennoch zu einem Ja am Sonntag auf.

Was soll der

Leopard im Gebirge?

Armeeverdrossenheit macht sich allmählich auch in ländlichen Kreisen breit. Hintergrund dafür ist der Strukturwandel der Armee, die in den letzten Jahren in einem Ausmaß technisch überrüstet wurde, das sogar Armee-interne Strategen auf den Plan rief - und natürlich die Finanzpolitiker. Zur Aufrüstung ihrer Feierabendarmee orderten die Eidgenossen Hunderte hochmoderner Leopard-2-Panzer in der Bundesrepublik, ein Kriegsgerät, das nun wahrlich nicht für den Einsatz in Gebirgslandschaften konzipiert wurde.

Die Piloten helvetischer Kampfjets müssen zum Training zweitweise aufs offene Meer vor Sardinien ausweichen, weil rasanten Luftmanövern mit Überschallgeschwindigkeit zu Hause die Berge im Wege stehen. Die technische Hochrüstung führte zu steigendem Landbedarf für immer neue und größere Schieß und Übungsplätze. Die Landbeschaffer des Berner Armeeministeriums weckten vielerorts durch ihre rigiden Methoden bis hin zu rechtlich fragwürdigen Enteignungsverfahren den Zorn der Bauern.

Eine erste Quittung erhielt die Regierung bereits vor zwei Jahren: Bei einer Volksabstimmung im Dezember 1987 sprach sich die Mehrheit überraschend gegen den jahrelang heftig umkämpften Ausbau eines Truppenübungsplatzes im Hochmoor bei Rothenthurm aus. Daß mittlerweile überall Bürgerinitiativen gegen Kasernenneubauten, Belästigungen durch Übungsschießen und und Flurschäden protestieren, kann schon als spektakulär gelten - in einem Land, in dem auch das kleinste Dorf seinen Schießplatz und jeder wehrfähige Mann seine Dienstknarre im Schrank hat.

Unbestritten ist der rein defensive Charakter der Schweizer Armee. Der läßt die Streitkäfte des Alpenlandes denn auch manchem Friedensgeist im Ausland als Modell erscheinen (siehe Kasten). Natürlich braucht kein Nachbarland zu fürchten, von den Schweizern hinterrücks überfallen und einkassiert zu werden. Die schweizerische Armee stellt keine Bedrohung nach außen dar.

Das unfriedliche Potential des Milizarmee richtet sich nach innen und bewirkt eine Militarisierung der gesamten Gesellschaft. Schweizer Männer sind die meiste Zeit ihres Lebens Soldaten - bis zur altersbedingten Dienstuntauglichkeit. Nach der nur dreimonatigen Rekrutenschule (RS) haben sie Jahr für Jahr zu zweiwöchigen Wiederholungskursen (WK) einzurücken. Dazu kommt „das Obligatorische“, eine jährliche Schießübung.

Ungediente haben

weniger Chancen

Ergebnis der militärischen Dauersozialisation ist eine Kameraderie, die alle gesellschaftlichen Bereiche durchzieht. Der Position eines Bank- oder Industriebosses entspricht meist sein Offiziersrang in der Milizarmee. Umgekehrt haben Ungediente in den höheren Etagen der Privatwirtschaft weniger Chancen. Gilt doch die Armeekarriere als ideales Trainings- und Auslesefeld für knackige Führungskräfte. Ganz nebenbei führt dieser Mechanismus zu einer zusätzlichen Diskriminierung von Managerinnen.

Als Folge des Milizsystem verseuchen militärische Kategorien, Begriffe und Denkweisen andere gesellschaftliche Bereiche. So fand sich etwa auf der Referentenliste einer Studientagung für Wirtschaftsmanager über „Krisenmanagement“ im Juni in Zürich wie selbstverständlich der Stabschef der Armee für operative Schulung. In vielen Kantonen, so etwa in Basel, sind die Zuständigkeiten für Polizei und Militär in einem Ministerium (Polizei- und Militärdepartement) zusammengefaßt. Und die Beamten, die in Zürich bei Demonstranten auf die Straße geschickt werden, heißen markig Polizeigrenadiere.

Militärisches Know-how wird im Reich der Schützenvereine schon den Jungen beigebracht. Sogenannte Knabenschießen und Jungschützenkurse bezwecken, so eine armee-offizielle Stimme, die „Sammlung der männlichen Schweizer Jugend im vordienstlichen Alter zur Weckung und Förderung der Freude am Schießen“. Neuerdings dürfen, ganz im Trend, auch Mädchen Jungschützenkurse besuchen. Allerdings müssen sie im Gegensatz zu den Jungs die Patronen selbst bezahlen.

Wie sich der militärisch-zivilberufliche Filz im Mediensektor auswirken kann, hat soeben der Chefredakteur der „Berner Zeitung“ vorexerziert: Der Journalist ist wie viele seiner Berufskollegen für den Kriegsfall als Offizier bei der „Abteilung Presse und Funkspruch“ verplant - eine Nachrichten-Truppe, der dann die Information von Militär und Restvolk obliegt. Aus dem Kulturteil des Blattes ließ der Mann kürzlich eine Vorschau auf ein „Stop the Army„-Festival tilgen. In weiten Teilen der helvetischen Gesellschaft herrscht eben, in umgekehrter Analogie zur Trennung von Kirche und Staat, die Einheit von Armee und Staat.

„Gesamtverteidigung“

mit Klopapierzuteilung

So scheint eine Eidgenossenschaft ohne Helm und Tarnanzug derzeit kaum vorstellbar. Zwei Tage vor dem Urnengang geht die „Gesamtverteidigungsübung Dreizack“ zu Ende. Gesamtverteidigung steht für ein Wehrkonzept, das Milizarmee, Zivilschutz und Bevölkerung - daher der Titel Dreizack - gleichermaßen integriert. Eine ganze Region wird übungshalber zur militarisierten Zone.

Geprobt wird der Ernstfall dabei bis ins Intimdetail: Die zivilen „Dreizack„-Teilnehmer wissen jetzt auch, wie viel Klopapier ihnen im nächsten Krieg zusteht: Eine Rolle pro Zivilperson alle zwei Wochen; das macht 16 Blatt pro Tag bei einer angenommen „Geschäftsleistung“ von zwei Sitzungen pro Tag. Die aktuelle Lage aus dem Munde des Übungsleiters, sonst als Zürcher Kultusminister zuständig für Universitäten und Schulen, kurz vor dem letzten Gefecht: „Es herrscht ein Klima der verdeckten Kriegsführung.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen