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„Die Hoffnung schon aufgegeben“

Gespräch mit Libuse Cerna, einer Prager Bremerin  ■  Foto: Wolfram Steinber

Libuse Cerna ist Redakteurin bei Radio Bremen. Bis 1977 lebte sie in Prag.

taz: Wie hast Du die letzen Tage verbracht?

Libuse Cerna: Vorm Fernseher (lacht). Und ich habe viel mit Freunden aus Prag telefoniert. - Ich hatte eigentlich für gestern ein Ticket gebucht. Aber ich habe so schnell kein Visum bekommen.

Was ich persönlich ganz toll find, ist, daß das von den jungen Leuten ausgeht.Denn bei den Leuten in meiner Generation war das so, daß sie emigriert sind oder sich zurückgezogen haben: Ich hab das damals, 1968, in Prag erlebt. Ich war damals 15 Jahre alt. Und wir hatten das Gefühl, daß jetzt endlich das eigene Leben beginnt, mit der Entwicklung des Landes verbunden. Mit 15 Jahren hat man nur die Chancen gesehen. Daß man endlich richtig reisen konnte. Ich bin damals im Juni, Juli nach Paris gefahren. Und über Nacht war das dann alles vorbei. Und eigentlich war für meine ganze Generation klar, daß das jetzt für allemal vorbei ist.

Hattest Du nach den Ereignissen in Ungarn, Polen, DDR darauf gewartet, daß es jetzt auch in der CSSR losgeht?

Libuse Cerna: Ich hab immer so lustig darüber gedacht: Das bleibt das Museum des Kommunismus. Jetzt ist das Ceausescu überlassen.

Man hat in der Tschechoslowakei auf die magische Zahl 8 gestarrt. Man sagt bei uns, wenn bei uns was passiert ist, dann in einem Jahr, daß mit 8 endete. 1938 war das Münchner Abkommen. 1948 kamen die Kommunisten an die Macht. Dann 1968.. Als 1988 aber wieder nichts passiert ist, habe ich die Hoffnung aufgegeben.

Als ich 77 hierhergekommen bin, habe ich in einer Warteposition gelebt. Und gedacht, am ersten Tag, wo es in der Tschechoslowakei wieder besser wird, packe ich meine Koffer. Heute sehe ich das anders. Ich habe mich dazu entschieden, hier zu bleiben. - Es berührt mich emotional sehr, wenn ich daran denke, daß die Menschen in den 69, 70er Jahren sagen mußten, daß sie das mit der brüderlichen Hilfe richtig fanden, wenn sie nicht aus der Partei ausgeschlossen werden wollten. Meine Mutter hat damals ganz überraschend gesagt: „Ich hab‘ die Schnauze voll. Ich trete aus.“ Damit war sie ganz unten. Ich durfte jahrelang deswegen nicht studieren. - Auf der einen Seite empfinde ich Freude, auf der anderen Seite empfinde ich auch Trauer, weil für unsere Generation alles so schnell vorbei war. Aber wir sind ja noch nicht so alt...

Meine Hoffnung jetzt ist, daß diese Trennung in West- und Osteuropa aufgebrochen wird. Das hat man über Jahre vergessen, auch daß die Mitte Europas in Prag ist. - Am Anfang haben Hörer, die meinen Akzent erkannt haben, beim Sender angerufen und zu mir gesagt, ich solle wieder rüber gehen... Ich hoffe, daß eines Tages, jeder da leben kann, wo er möchte Int. b

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