: CSSR-Opposition erzwingt Amnestie
Gestern Adamec und Dubcek gemeinsam auf Großkundgebung / Neues Gespräch zwischen Regierung und Opposition / Krisensitzung des ZK / Heute Generalstreik ■ Aus Prag Klaus-Helge Donath
Seite an Seite zeigten sich gestern nachmittag vor Hunderttausenden Menschen in einem Prager Sportstadion der Repräsentant der Regierung des Augenblicks, Ladislav Adamec, und das Symbol des Prager Frühlings von 1968, die Hoffnung auf ein besseres Morgen, Alexander Dubcek. Dubcek mahnte zur „Besonnenheit und Einheit“ und bekundete seine Unterstützung für Adamec. Adamec zeigte mit seinem Auftritt, wieweit er sich bereits von der ehemaligen Machtzentrale, der KP, deren Zentralkomitee gestern abend erneut zu einer Krisensitzung zusammentraf, entfernt hat. Buhrufe erntete er für seine Anregung, den für morgen angesetzten Generalstreik auf symbolische zwei Minuten zu begrenzen. Ihm widersprach Vaclav Havel, der dazu aufrief, die Arbeit wie geplant für zwei Stunden niederzulegen.
Zuvor waren Adamec und Havel als Partner eines Gesprächs zwischen Regierung und oppositionellem Bürgerforum zusammengetroffen. Adamec kündigte an, heute würden alle politischen Gefangenen aus den Haftanstalten entlassen. Schon am Samstag wurden die prominentesten Dissidenten, deren Namen von Hunderttausenden Demonstranten auf den Kundgebungen skandiert wurden, waren auf freien Fuß gesetzt. Unter ihnen befanden sich Peter Uhl, Frantsek Starek und Jiri Ruml. Ein weiteres Treffen zwischen Opposition und Adamec wurde für morgen vereinbart.
Die Freilassung der Gefangenen gehörte zu einer der zentralen Forderungen, mit denen das Bürgerforum in die Gespräche mit dem Ministerpräsidenten gegangen ist. Neben Vaclav Havel gehören der Abordnung des Bürgerforums acht weitere Delegierte an, darunter der katholische Priester Waclav Mali und der Redakteur der Jugendzeitung des kommunistischen Jugendverbandes 'Mlady Fvet‘, Michael Horacek. Im Bürgerforum vertritt er die vor zwei Monaten gegründete Gruppe „Most“ - Brücke - die sich zur Aufgabe gemacht hat, zwischen Opposition und Partei zu vermitteln. Das Bürgerforum hatte vor dem Treffen bekanntgegeben, daß es die Legalisierung der Opposition und die Zulassung ihrer Publikationen verlangen werde. Auf einer Pressekonferenz im berühmten Prager Theater „Laterna Magca“, dessen Künstler sich bereits seit einer Woche im Streik befinden, meinten Sprecher der Opposition, auch in der CSSR seien Gespräche am runden Tisch in unmittelbarer Reichweite.
Auf die Frage, warum sich die Opposition mit Vertretern der KP einlasse, hieß es: Man müsse nun auch mit Leuten auskommen, die bereit seien, die Lasten der Vergangenheit zu tragen. Mit Blick auf Adamec, der noch kürzlich von Vaclav Havel als einem Niemand gesprochen hatte, meinte der Dissident Jiri Dienstbier: „In der derzeitigen Situation hängt es davon ab, was er tut und nicht, was er irgendwann einmal gesagt hat.“ Dem für heute zwischen zwölf und 14 Uhr anberaumten Generalstreik werden nach Aussagen des Bürgerforums etwa 700 zum Teil sehr große Betriebe und Kombinate im ganzen Land Folge leisten. In einer Sitzung der Parteiorganisation Prags am Sonntag, die stürmisch verlaufen sein soll, wurde von der Basis gefordert, die Kommunistische Partei solle sich diesem Streik auch anschließen.
Trotz der spontanen Erfolge der Massenproteste zeigen sich viele Demonstranten auf der Straße mit Ausnahme der Jugendlichen skeptisch gegenüber dem weiteren Verlauf der politischen Entwicklung. Euphorie stellt sich nicht ein, dafür stecken die niederschmetternden Fortsetzung auf Seite 2
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Erfahrungen der Vergangenheit noch zu tief in den Knochen. Aus dem Beifall für Dubcek etwa Schlüsse zu ziehen, seine Vorstellungen eines erneuerten Sozialismus hätten derzeit noch eine Chance in der CSSR, liefe fehl. Auch für die Studentenvertreter ist er nur eine Figur, die der Vergangenheit angehört.
Auf einer Sondersitzung des Zentralkomitees der kommunistischen Partei der Tschechoslowakei am Freitag hatte Generalsekretär Mlus Jakis seinen Hut nehmen müssen. Neben ihm verließen auch Gustav Husak, Jan Fojtik, Mloslav Zavadil, Karel Hofmann und Alois Imdra auf
Druck der Parteibasis das Politbüro. Ihre Namen stehen sämtlichst für jene Kräfte der Partei, die 1968 mit Hilfe der Sowjets die Reformbewegung des Prager Frühlings niedergeschlagen haben. Die personelle Veränderung an der Spitze hat jedoch erneut für Unmut in der Tschechoslowakei gesorgt. Die Neubesetzungen, so heißt es in Oppositionskreisen, seien keine wirkliche Garantie für eine veränderte Politik. Nach anhaltenden Protesten mußten am Sonntag auch Mroslav Ftepan, bisheriger Parteichef Prags, und Miloslav Zavadil, Vorsitzender des Gewerkschaftsbundes ihre Posten ihre Posten räumen, allerdings gehören sie nach wie vor dem Politbüro an. Zum neuen Generalsekretär wählte das ZK den 48jährigen ehemaligen Sekretär Peter Urbanek.
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