Notunterkünfte bis ins nächste Jahrtausend

■ Das Ende des Sozialismus bringt auch in Bremen alle Behörden durcheinander: Aussiedler statt Arbeitsamt und Alter Musik

Schafft ein, zwei, viele Osterholz-Tenever! So oder so ähnlich müßte eigentlich die aktuelle Parole von Bremens Sozialsenator Henning Scherf lauten. Scherf - qua Senatsamt für die Unterbringung der täglich neu eintreffenden Aus- und Übersiedler zuständig - ist seit Monaten auf der Jagd nach jedem freiwerdenden Gebäude, jeder ausbaufähigen Turnhalle, jeder umzuwidmenden Bundeswehrkaserne. Und: Scherf richtet sich auf lange Zeiten der Notlösungen ein. Allein bis zum Ende nächsten Jahres rechnen Statistiker des Sozialsenators mit 12.000 NeubremerInnen aus Polen, der DDR und der Sowjetunion. Zum Vergleich: In sämtlichen Osterholzer Betonklötzen zusammengenommen wohnen nicht mehr als 6.000 Menschen. Nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein ist angesichts dieser Prognosen das Wohnungsbau-Programm des Bremer Senats: Es sieht für drei Jahre die Förderung von je 1.500 neuen Wohnungen vor. Umgekehrt ausgedrückt: Der Senat kalkuliert allein bis Ende 1990 5. bis

10.000 obdachlose bzw. not- untergebrachte Aus- und Übersiedlern ein. Konsequenz in der Sozialbehörde und ihrem „Krisen

stab“: Alle kurzfristigen Notlösungen werden sich unter der Hand vermutlich zu Dauerlösungen entwickeln.

Eines der Objekte der Behördenbegierde ist z.B. das provisorische Arbeitsamt in der Habenhausener Steinsetzerstraße. Rund

500 BerufsberaterInnen und Arbeitslosengeld-BewilligerInnen packen in dieser Woche ihre Akten in Kisten und freuen sich auf ihre neuen, größeren Büros am Doventorsteinweg. Bis zum Ende der Woche wollen sie ihre bisherigen 10.000 Quadratmeter vollklimatisierter Bürofläche geräumt haben. Schon in der letzten Woche haben Scherfs Notunterkunfts -Suchbeamte das Gebäude erstmals in Augenschein genommen. Inzwischen ist ein Gutachten in Auftrag gegeben, das Möglichkeit und Kosten für den Einbau von „Naßzellen“ und „Sanitärbereichen“ ins ehemalige Arbeitsamt ausrechnen soll. Die Bremer Sparkasse, Eigentümer des Gebäudes, scheint grundsätzlich nichts gegen die neuen Mieter zu haben. Sparkassen-Liegenschaftsverwalter Hartmut Eberts: „Wir stehen den Verhandlungen offen gegenüber.“ Nicht unerheblich zur guten Verhandlungslaune der Sparkassen-Manager dürfte der Umstand beigetragen haben, daß sie angesichts der nicht abreißenden Zuwandererströme mit langfristigen Mietverträgen rechnen dürfen. Eberts: „Wir gehen von einer Mietdauer von zunächst fünf Jahren aus.“

Völlig durcheinander gebracht haben die Löcher in der Mauer und die Reformen in Polen und der Sowjetunion auch die Senats-Pläne für ein Bremer „Behördenraumkonzept“: Alle landeseigenen Liegenschaften, in die irgendwann einmal Bremer Behörden mietsparend einziehen soll

ten, liegen inzwischen auf Eis: So könnten in das ehemalige Verwaltungsgebäude der AG Weser in Gröpelingen DDR -Übersiedler umziehen - finden Behörden von Bausenator Konrad Kunick. Hintergrund: Laut Behördenraumkonzept sollten die Bremer Baubeamten eigentlich selbst nach Gröpelingen ziehen. Die finden ihre bisherigen Innenstadt-Büros aber eigentlich sowieso viel schicker und würden ihr künftiges Domizil liebend gern an Sozialsenator und dessen Übersiedler -Klientel abtreten.

Wackelig sind auch alle Konzepte geworden, das ehemalige Berufsbildungszentrum am Doventorsteinweg künftig vor allem als Beamten-Büros zu nutzen. Ebenso steht inzwischen die geplante Unterbringung der Akademie für Alte Musik in einem leerstehenden Schulgebäude an der Dechanatstraße, dem früheren Alten Gymnasium, unter Notunterkunfts-Vorbehalt.

Für den Behördenlacher des Tages sorgte übrigens am Freitag die SPD-Bürgerschaftsfraktion mit ihrem Beschluß, Behördenraumkonzept und die Vergabe leerstehender Schulgebäude erst einmal auszusetzen und vorrangig die Unterbringung von Übersiedlern zu prüfen Kommentar eines Behördenmitarbeiters: „Toll - diese Abgeordneten. Und so originell. Wären wir ohne die gar nicht drauf gekommen. Was die jetzt fordern, machen wir schon seit Wochen.“

K.S.