Anders wohnen in der Wäschefabrik

■ Wohngruppenprojekte „beschlagnahmten“ Gebäude in der Kornstraße / Supermarkt und Übersiedler als Konkurrenz

„Gestern morgen um 9 Uhr war es endlich soweit. Das selbstorganisierte Wohnprojekt 'anders wohnen‘ hat die ehemalige Wäschefabrik an der Kornstraße bezogen. 22 Erwachsene und 5 Kinder leben nun unter einem Dach. Vorausgegangen waren fast drei Jahre Planung, Verhandlungen mit der Stadt und Umbau in Selbsthilfe. Das Gebäude wurde von der Stadt dem Vorbesitzer abgekauft und ging für 1 Mark in den Besitz des Trägervereins 'WohnBildung‘ über.“ Ein Traum von Meldung, formuliert von denjenigen selbst, die seit zwei Jahren ein Zusammenleben in unterschiedlichen Wohnformen verwirklichen wollen - den Möchte-Gern -NutzerInnen der Kornstraße 203.

Gestern mittag um 15 Uhr war es dann soweit. Die Leute von 'WohnBildung‘ und 'anders wohnen‘ beschlagnahmten die alte Wäschefabrik, symbolisch, per dreizehn Meter langem Transparent. 27 Erwachsene und 2 Kinder standen in der Kälte vor dem unschönen Gebäude. Vorausgegangen waren Entwurfsarbeiten für den Umbau der Räumlichkeiten, bislang erfolglose Kaufversuche und die Befürchtung, ein zweites Mal beim Werben um das Objekt ihrer Begierde den Kürzeren zu ziehen.

550.000 Mark hatten die beiden Initiativen dem Besitzer des Fabrikkomplexes geboten, ein

hoher Preis, wenn man den Zustand und die notwendigen Umbauarbeiten bedenkt. Doch der winkte ab, weil ein anderer Interessent (eine Supermarktkette) offensichtlich für den dann fälligen Abriß mehr zu bieten gewillt ist. Nun ist als künftiger Nutzer auch noch die Sozialbehörde im Spiel, die ungenutzten Wohnraum für die große Zahl der Übersiedler benötigt. Und die Wäsche

fabrik steht seit vier Jahren leer, bietet im Vergleich zu Bunkern und Kasernen zivilere Unterbringungsmöglichkeiten.

Wer beschlagnahmt zuerst - die Frage ist seit gestern entschieden. Doch ob die Wohngruppenprojekte auch den längerem Atem haben werden, bleibt abzuwarten. Denn die Entscheidung, ob die Supermarktkette den Vorzug erhält, wird am kommenden Don

nerstag fallen. Gute Argumente gegen die unliebsame Konkurrenz haben die Initiativen von unten allemal: Ihr Projekt will das umsetzen, was angesichts großen Wohnbedarfes und begrenzter Neubauflächen vorrangig sein muß: die bessere Ausnutzung bereits vorhandener Wohnfläche. Mit etwa 1.000 qm kalkuliert der Entwurf zum Umbau der Wäschefabrik, den sich „anders wohnen“

von einem Hamburger Architekten hat erstellen lassen. 12 Wohnungen für 30 - 36 Personen sind geplant, die unterschiedliche Wohnformen vom Single-Haushalt bis zur Rentner-WG möglich machen. Ergänzt wird das Konzept durch großzügige Gemeinschaftsräume und konsequent ökologisches Bauen.

Noch ist kaum vorstellbar, daß der schmucklose weiße Klinkerbau, ein typisches Kind der 50er-Jahre Fabrik -Architektur, dereinst ein solches Wohnmodell beherbergen könnte. Da wo nach den Vorstellungen der Planer Glaspassagen und Balkone für Licht und Luft und Lebendigkeit sorgen sollen, bröckelt heute der Putz, verwittern Aktenschränke in Wasserlachen.

Den Bremer Senat forderten die BeschlagnahmerInnen gestern auf, „leerstehende Gebäude gerade dann zu beschlagnahmen, wenn konkrete Planungen vorliegen“. In ihrem Falle aber müßte die Schützenhilfe der Politik noch weiter gehen: mit der Schaffung eines Bremer Topfes für Wohnprojekte solle finanzieller Beistand geleistet werden. Bis aus dem Traum die Meldung wird: „Das Gebäude wurde von der Stadt dem Vorbesitzer abgekauft und ging für 1 Mark in den Besitz des Trägervereins 'WohnBildung‘ über.“

Andreas Hoetzel