NA KLAR, HERR BÜRGERMEISTER...

■ Offszöne Demonstration der freien Theater als Theater

Auf dem Hinterhof sind ein Dutzend mobile Toiletten der Firma Dixi in Position gebracht worden. Offensichtlich sind die Erwartungen in den Publikumsandrang hoch angesetzt. Mehr als 30 „Freie“ Theater und Tanzgruppen luden am Samstag zu Protest: Schluß mit der ungerechten, ungleichen Subventionsverteilung. Ort der Begegnung ist die RA.M.M./ZATA-Theaterhalle. Eine ehemalige Produktionstätte für irgendetwas, das irgendwann einmal gebraucht wurde. Jetzt wird dort eben Theater hergestellt, auf daß Berlin Berlin ist, kulturell gesehen. Ruckhaberle kommt herein und wird mit: du hier? wie kommst du denn jetz schon hierher? aber bist ja auch eingeladen, begrüßt. Der Umgang in der Szene ist nach wie vor liebevoll. Das Licht in der Halle ist schmeichelnd schummerig, zwei Bühnen sind aufgebaut, ein paar Menschen incl. sieben Kinder irren umher. Im herzenssympathischen Geschmuddel werden ein sauberer Stuhl und verschiedene Zettel gefunden. Lesestunde.

Zettel 1: Unten links das zitty-logo als Beleg einer neuzeitlichen Subventionierungspraxis beziehungsweise eines lobenswerten Sponsorenengagements. Darüber, wer alles eingeladen ist: Walter Momper, Kreuzberger, Heiner Müller, Mauersegler; Wolfgang Neuss, Posthumus; Dieter Ruckhaberle, Kulturratte... Der Umgang in der Szene ist eben - aber das hatten wir ja schon. Der Text als solcher: In abgebrühter Manier als frühere Koalition hat uns - Freie und Off-Theater der Stadt - das rot-grüne Bündnis Manna versprochen, zum Manna führen wollen, und doch nur geleimt. Ist das Naivität oder Blödheit? Oder beides? Warum denn sollte das Wort eines ökologischen Stadtumbauers als Politiker ehrenhafter sein als das eines 750-jahr-Freiers? Und wenn man so dumm ist, Politikern auf den Leim zu gehen, dann sollte man letzteren so dezent wie möglich zu entfernen versuchen, anstatt sich ein weiteres Eigentor in Form dieses Gezeters einzuschenken.

Zettel 2: Berlin in Europa; wichtiges kulturelles Zentrum; neue Wege einer neuen Kulturbewegung gegen erstarrte Formen und veraltete Inhalte eines etablierten Kulturbetriebes. WIR arbeiten für eine Gesellschaft der Zukunft an einer Kultur der Zukunft, mit Reichtum an Kreativität, Idealismus und Phantasie, auf die jedes Gemeinwesen stolz sein sollte, und prägen mit der lebendigen Vielfalt das unverwechselbare Bild dieser Stadt. Man stelle sich bitte einmal vor, ein „freier“ Journalist, kein Redakteur wohlbemerkt, liefert einen Artikel mit solch einer Instant-Begriffs-Lösung ab. Und will darauf nicht nur sein klägliches Zeilenhonorar, sondern auch noch eine Kultursubvention. Natürlich wird der Artikel nicht gedruckt, und Subventionen hat es für ihn noch nie gegeben. Also stellt er sich hin und fängt das Lamento vom Leim an ach Quatsch, so etwas kann man sich natürlich gar nicht vorstellen.

Warum nun die Forderungen nach Subventionen für Freie Tanz und sonstige Theater dennoch berechtigt sind? Das ist so: In der Freien Theater- und Tanzszene arbeiten mittlerweile längst so viele Menschen wie bei der Deutschen Oper und haben ebensoviel Publikum wie diese. Die Deutsche Oper bekommt 75 Millionen Mark und die „Freien“ 7,5 Millionen Mark. Das bedeutet für Letztere Existenzminimum, Beeinträchtigung der künstlerischen Arbeit, kein Recht auf Komfort, keine tariflich geregelte Bezahlung und Arbeitszeit, kurzum: keine Gleichberechtigung mit der Hochkultur. Also sind wir 1. nicht nur ganz richtig anders, sondern 2. auch noch ganz und gar nicht richtig gleich.

Dem jetzt einsetzenden Wutgeheul sei zugerufen, daß es schon akzeptabel wäre, wenn die Deutsche Oper ein paar Mios weniger und die anderen dieselben mehr hätten. Nur ist es ein Unterschied, ob man zum Erreichen dieses Ziels in moralisierend vergleichendes Gejeimer verfällt oder zum Beispiel mit kompletter Ensemblestärke aller streikenden Off -Theatertanzgruppen die Aufführungen der Deutschen Oper so lange künstlerisch stört, bis das Geld ein bißchen anders verteilt wird.

So nun auch wieder nicht? Na gut, dann sprechen wir vielleicht mal vom Sponsoring als Instrument der Finanzbeschaffung, von Leistung und Gegenleistung, von mehr oder weniger Qualität, von Theaterspielen als billiges Eigentherapeutikum, vom... aber auf der Bühne hat es jetzt zu spielen angefangen. Kindertheater für zwölf Kinder. Mehr sind noch nicht da. Sehr schön und farbig hat sich MANUELA ihr anziehbares Puppentheater über den Körper gestülpt und spielt aus diesem heraus den Kleinen und Großen etwas vor. Dabei macht sie auch noch Musik. Sie hat sich zwei Metallteller an die Innenseiten ihrer Knie geschnallt, die sie aneinanderschlägt. Auch hier ist eben die andere Kunst.

Am Abend ist dann alles ganz anders. Fast so wie im richtigen Leben. Die Kleinen sind weg'und die Großen sind da. Die Viertel-Off-Theaterszene produziert hautnahe Enge, und man wird verwechselt: Entschuldigen Sie, sind Sie der Herr Kirchner? - Wer bitte? - Herr Kirchner von der Senatsverwaltung. - Nein, tut mit leid, noch nicht.

So durch die eigene Ehrlichkeit um das Schauspiel eines authentischen Anbaggerprozesses gebracht, richtet sich mein Blick auf die Bühne. Und auch dort geht es wie im richtigen Leben zu: es gibt Gutes und nicht ganz so Schönes. Es gibt mimisch, sprachlich und körperlich bemerkenswertes Theater einerseits und ungebrochenes Selbstbewußtsein andererseits, welches meint, im fortgeschrittenen Alter von 26 Lebensjahren die darstellende Botschaft der Hildegard -Wegscheider-Oberschule-Theatergruppe einem interessierten Publikum zwingend nahebringen zu müssen.

SPOTT-Gewerkschaftschef Gerd Hunger im roten Streifenhemd spricht pausenmoderierend von seinem Wunsch, Alternativ -Theaterkultur und Hochkultur möchte nicht weiter gegeneinander ausgespielt werden, meint wahrscheinlich, daß die sich um den Senatstopf schlagenden Off-Gruppen doch besser miteinander auskommen sollten.

In einer Pause hat er dann noch einen netten Einfall: Er bitte die gastgebende Theatergruppe RA.M.M. auf die Bühne das sind vor allem zwei Männer in gelblackierten Anzügen und erzählt, daß diese Gruppe die ganze Nacht die Halle für das heutige, große Off-Theaterfamilien-Protest-Ereignis umgebaut hat. Dafür gibt's großen Applaus.

So werde ich denn die vorgedruckten Postkarten an Momper abschicken: Na klar, Herr Bürgermeister! Ich unterstütze natürlich die Forderungen der „Freien“ Theater und Tanzgruppen Berlins auf eine angemessene finanzielle Förderung ihrer Arbeit. Die Diskriminierung dieser Kultur gegenüber der sogenannten Hochkultur mit meinen Steuergeldern muß aufhören! Und der Bürgermeister wird mir dann antworten - denn das machen Bürgermeister so, sie beantworten jeden Posteingang: Sehr geehrte(r) A. Modern, ... statistische und empirische Erhebungen haben ergeben, daß die Besucher der „Freien“ Theater und Tanzgruppen im Gegensatz zu den Besuchern der Hochkultur ein eher geringes Steueraufkommen erbringen. Mit freundlichem Gruß, Ihr Bürgermeister.

A. Modern