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„Nicht lernen zu laufen, sondern zu rennen“

■ Wirtschaftspolitische Tagung des Neuen Forums Pankow: Erstmals ausführliches Thesenpapier / Generaldirektorenkonferenz als Startschuß für den Markt?

Es gebe zwei grundsätzliche Konzepte für die nächsten Schritte der Wirtschaftsreform, sagte Klaus Steinitz vom Zentralinstitut für Wirtschaftswissenschaften der DDR -Akademie der Wissenschaften. Das eine sei ein Vervollkommnungs-, Entrümpelungs- und Vereinfachungskonzept, das andere, das „allein richtige“, eine grundlegende Veränderung. Zeit bleibe nicht viel, auch wenn Aktionismus fehl am Platze sei: „Wir müssen nicht lernen zu laufen, sondern zu rennen“, rief er unter dem Beifall der gut 400 InteressentInnen, die der Einladung des Neuen Forums Pankow gefolgt und zur zweitägigen Konferenz des Forum -Arbeitskreises Ökonomie gekommen waren (siehe auch taz vom 27.11.).

Dabei sind die Grenzen zwischen denen, die das alte Wirtschaftssystem verbessern machen wollen, und denen, die nach strukturellen Veränderungen verlangen, äußerst fließend. Der Ökonom und pensionierte Volkswirtschaftsplaner Bernhard Steinberger etwa hielt ein langes Plädoyer für kybernetische Planungsmodelle, „Simulationen für die DDR -Wirtschaft in der internationalen Verflechtung“ und gar Rechnungen „zur Optimierung einheitlicher Gewinne“.

Steinberger meinte auch, daß grundsätzlich die „Vollbeschäftigung als Planungsgrundlage“ beibehalten werden solle. Allerdings räumt er ein, daß vorübergehende Arbeitslosigkeit nicht ausgeschlossen sei, forderte von der Regierung Auskunft darüber, wieviele Betriebe ersatzlos geschlossen werden müßten. Und: „Was kostet eine umfassende Modernisierung in Dollar?“ Andererseits wies Steinberger aber auch darauf hin, daß das System der direktiven Bilanzen, also die Vorgabe der entscheidenen Betriebsdaten, noch nicht in Frage gestellt ist, verlangte den Rückzug der SED aus den Betrieben und die Entflechtung von Kombinaten, die „in vielen Fällen geboten sei“ - Forderungen, die weithin auch in der SED diskutiert werden.

Wo tatsächlich eine strukturelle Veränderung von der Planungs- hin zur sozialistischen Marktwirtschaft anfängt, blieb undeutlich, weil alles das, was in den Altparteien, in der Regierung und bei der Opposition diskutiert wird, Strukturveränderungen voraussetzt. Das betrifft auch die wenig diskutierte Frage der Subventionen, bei der allerdings Einvernehmen darüber herrschte, daß sie von der Produkt- zur Personengebundenheit übergehen müsse. Das heißt, daß etwa die Preisstützen für Kinderkleidung zukünftig als Kindergeld ausgezahlt werden sollte.

Der grundsätzliche Unterschied besteht darin, daß zumindest die Veranstalter der Konferenz sich klipp und klar für Hilfeleistungen aus Westeuropa einsetzen: „Zur Modernisierung unserer Volkswirtschaft sind wir (...) insbesondere auf die Bundesrepublik Deutschland angewiesen“, heißt es in einem „Diskussionsvorschlag“ des Neuen Forums.

Aus den 17 Thesen zur Wirtschaftsreform, die am letzten Wochenende verteilt worden sind:

* Betriebe mit mehr als 300 Beschäftigten, auch Banken und Versicherungen außer der Sozialversicherung, bleiben gesellschaftliches Eigentum. 51 Prozent der Aktien bleiben im Staatsbesitz und sind unveräußerlich, 49 Prozent können als Belegschaftsaktien, über einen nationalen Aktienmarkt oder ausländische Beteiligungen weitergegeben werden. Kleinere Betriebe können privat oder genossenschaftlich geführt werden, alle Betriebe der unterschiedlichen Eigentumsformen sind rechtlich gleichgestellt.

* Vertrags- und Außenhandelsrecht, Wirtschaftsstraf- und Steuerrecht sowie Umweltschutzbestimmungen werden vereinheitlicht. Das Außenhandelsmonopol des Staates wird durch eine Koordinationsfunktion für die Betriebe ersetzt.

* Die staatliche Planung der Volkswirtschaft ist auf den Staatshaushalt, Großbetriebe und Banken beschränkt und erfolgt mit Ausnahme von Investitionsschwerpunkten auf der Basis von Wertkategorien (Preise, Kosten, Gewinne). Auf kleinere Betriebe nimmt der Staat nur über seine Aufträge Einfluß.

* Die Währung wird schrittweise konvertierbar gemacht.

* Die staatlichen Eingriffe in die Wirtschaftsprozesse werden über die üblichen finanzpolitischen Instrumentarien einer Staatsbank (Diskontsatz, Mindestreserven), auf Steuer oder Subventionspolitik beschränkt.

* Betriebe bestimmen ihre Preise und Stellenpläne. Löhne, Gehälter, soziale Arbeitsbedingungen und die Arbeitszeit werden zwischen Betriebsleitung und den Gewerkschaften eines Tarifgebietes festgelegt. Dem Staat obliegt die Schlichtung; Gewerkschaften haben Streikrecht.

* Das Recht auf Arbeit bleibt. Arbeitslose erhalten Sozialhilfe, Umschulungswillige erhalten Umschulungsgeld.

* Banken regeln ihre Geschäfte selbständig, eine staatliche Bankenaufsicht ist gegenüber der Volkskammer rechenschaftspflichtig.

* Unternehmens- und Personensteuern sind zu vereinheitlichen, Tabak-, Alkohol- und Kfz-Steuern zu erheben und das Verursacherprinzip bei Umweltschäden einzuführen.

* Pachten und Mieten werden bei staatlich festgelegten Obergrenzen frei ausgehandelt. Der Staat erhält ein Vorkaufsrecht, das aber dem Begründungszwang unterliegt.

Die Konsequenzen dieser Vorschläge sind den VerfasserInnen klar: Die Mark der DDR müsse ab- und die Spareinlagen entwertet werden, und eine stärkere soziale Differenzierung der Beschäftigten und Selbständigen sei unvermeidlich.

Zu vermuten steht aber auch, daß sich die BürgerInnen der DDR wie die westeuropäischen Konzerne bald auf eine in Fluß kommende Reform des DDR-Wirtschaftsrechts einstellen müssen. Eine Konferenz der Generaldirektoren der großen Kombinate am 9.Dezember mit Ministerpräsident Modrow solle der „offizielle Startschuß für den Übergang zum Markt“ werden, wertete der Ökonomie-Professor Wilde. Der Hochschullehrer mochte auch die Personalpolitik nicht ausnehmen und forderte dazu auf, so schnell wie möglich „die alten Kräfte zu verbannen“, die für das Planwirtschaftsystem stehen: Die Regierungsmitglieder und SED-Funktionäre Beil, Schürer und Schalck-Goldkowski.

Unerwartet erhielt er die Unterstützung eines Besucher der Konferenz, der in einem Elektronik-Kombinat arbeitet und SED -Mitglied ist: Der gab bekannt, daß seine Partei -Organisation so lange keine Beiträge mehr abführe, wie die Herren noch im Amt seien.

Dietmar Bartz

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