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Insel zwischen Ost und West und Nord und Süd

Auf Malta dreht sich alles um das Elefantentreffen zwischen Bush und Gorbatschow / Priester beten für einen gelungenen Gipfel / Hoteliers und Handwerker hoffen auf Investitionen / „Kriegsschiffe gucken“ als neuer Familiensport  ■  Aus Marsaxlock Andreas Zumach

In „Renos Bar“ am Kai von Marsaxlock sind die T-Shirts mit dem offiziellen „Malta-Summit„-Symbol und den Cartoon -Gesichtern von Gorbatschow und Bush bereits ausverkauft. Wie überall in der gerade 316 Quadratkilometer großen Mittelmeerrepublik gibt es spätestens seit Sonntag morgen in dem Fischerdorf an der Südostküste der Hauptstadt Maltas nur noch ein Thema: das Treffen der beiden oft als mächtigste Männer der Welt bezeichneten Politiker am kommenden Wochenende auf zwei Kriegsschiffen wenige hundert Meter vom Badestrand Marsaxlocks entfernt, das der zeit als Freihafen ausgebaut wird.

Als die 330.000 fast hundertprozentig katholischen BewohnerInnen Maltas und der beiden kleineren Schwesterinseln Gozo und Comino in der Frühe zum Kirchgang rüsten, läuft er gerade ein, der riesige Zerstörer „Belknap“, Flagschiff der sechsten US-Flotte im Mittelmeer. Nach dem Gottesdienst, in dem von allen Kanzeln für den Frieden und einen erfolgreichen Gipfel gebetet wird, ist als alternatives Familienprogramm „Kriegsschiffe gucken“ angesagt. Von überall her strömen die MalteserInnen, ausgerüstet mit Fern- und Operngläsern, um bei strahlendem Sonnenschein das häßliche graue Ungetüm mit dem riesigen Sternenbanner am Bug zu betrachten. Die Sonntagszeitung berichtet auf der Titelseite ausführlich, daß der sowjetische Zerstörer „Slava“ zur selben Zeit, eskortiert von türkischen Schnellbooten, den Bosporus passiert und nach Durchquerung der Dardanellen und der Ägäis voraussichtlich am Mittwoch in Marsaxlock eintrifft.

Der Stolz der MalteserInnen, als Schauplatz eines Ost-West -Gipfels ein paar Tage im Mittelpunkt des Weltinteresses zu stehen, ist beinahe grenzenlos. Für die meisten gewinnt ihr Land damit eine in letzter Zeit verlorengegangene Rolle zurück.

In Anspielung auf den vom Cartoonisten der Malteser 'Sunday Times‘ erfundenen, vom sowjetischen Außenamtssprecher Gerassimow weltweit bekannt gemachten und von dessen Chef Shewardnadse inzwischen als unpassend gerügten Gipfelslogan „von Jalta nach Malta“ erinnert Geschichtsprofessor Henry Frendo daran, daß umgekehrt „Malta auf dem Weg nach Jalta gelegen hat“. Und zwar für Roosevelt, der im Januar 1945 auf dem Flugzeugträger Quincy aus den USA anreiste und von Malta auf die Krim weiterflog, wie für den Premierminister Churchill, der ebenfalls einen Zwischenaufenthalt auf dem damaligen britischen Flottenstützpunkt Malta einlegte.

Die meisten BewohnerInnen der seit 1974 neutralen Republik halten ihre im geographischen Schnittpunkt zwischen Ost und West, zwischen Europa und Afrika gelegene Inselgruppe für den idealen Ort internationaler Begegnungen und Friedensverhandlungen. Sie erhoffen, daß der Gipfel auch zur „Entmilitarisierung des Mittelmeers“ beiträgt, insbesondere zum „Rückzug der Atomwaffen beider Großmachtflotten“. So lauten die zentralen Forderungen einer Demonstration und Kundgebung, die die seit 1987 oppositionelle Labour-Party für das kommende Wochenende angemeldet hat. Im Juni 1988 hatte das Parlament auf ihren Antrag hin beschlossen, daß atomar bewaffnete oder angetriebene Schiffe die Häfen Maltas nicht anlaufen dürfen. Um der Opposition den Wind aus den Segeln zu nehmen, läßt die Regierung des konservativen Premiers Fenech Adami derzeit täglich verkünden, sie gehe davon aus, daß die beiden Großmächte diese Politik Maltas respektieren. Eine entsprechende Zusicherung erhielt sie jedoch nur aus Moskau. Washington verweigerte getreu seiner „No-confirm/No-deny„-Politik die Auskunft. Paul, Stammgast in „Renos Bar“, selber jahrelang zur See gefahren und Sammler von Schiffahrtsliteratur, ist jedoch auch so „fest überzeugt, daß die 'Belknap‘ dieselbetrieben ist“. Er und seine Freunde, zumeist Fischer, Kleinhoteliers und Handwerker, hoffen wie ihre Regierung, daß der von über 1.600 MedienvertreterInnen aus aller Welt beobachtete Gipfel Malta auch als Tourismusziel und zinsgünstiges Gebiet für Off-shore-Geschäfte bekannter macht. „Die JournalistInnen können doch nicht vier Tage lang nur hier am Kai herumhängen und auf die Schiffe starren“, meint Gastwirt Joe Polidano, der sich das Geschäft des Jahres ausrechnet, wenn ab morgen hier die Kameracrews von CBS, ABC und NBC einfallen. Nur wenige kritisieren den „Zirkus“ und fühlen sich durch die scharfen Sicherheitsvorkehrungen belästigt. Tagelang suchten Taucher das Hafenbecken ab. Zusammen mit US-amerikanischen und sowjetischen Sicherheits- und Antiterrorspezialisten trainieren maltesische Polizisten Einsätze für alle Eventualitäten. Wenn Bush am Freitag morgen und Gorbatschow abends auf dem Flughafen Luqua landen, werden der gesamte Luftraum über Malta sowie zahlreiche Straßen hermetisch abgeriegelt sein. Die kugelsichere Limousine des US -Präsidenten befindet sich bereits seit letzter Woche an einem geheimgehaltenen Ort auf der Insel.

Ob Bush für den kurzen Weg zum Regierungsgebäude in Valetta, wo er am Freitag Premier Adami trifft, nicht doch den Hubschrauber benutzt, soll „bis zuletzt Geheimnis bleiben“, erklärte Maltas stellvertretender Sicherheitschef Kurt Galea Pace gegenüber der taz. Pace lacht über die vor allem in US-Medien hochgespielte „Gefahr“ eines Anschlages von libyscher Seite. Der visafreie Zugang für Libyer nach Malta - in den Tagen nach Bekanntgabe des Gipfels Anfang November in Washington als angeblich vorher nicht bedachtes Sicherheitsrisiko kolportiert - stelle „kein spezielles Problem dar“. Auch in „Renos Bar“ gilt Gaddafi zwar als „Verrückter“, aber zugleich als „harmlos, zumal seit dem US -amerikanischen Bombenschlag auf Tripolis im April 1986“. Gaddafi, wendet sich Joe beruhigt seiner Kaffeemaschine zu, sei für den Gipfel so gefährlich wie die Kanonen der alten Ritterburg hoch über der Bucht von Marsaxlock, in deren Reichweite die „Belknap“ und die „Slava“ ankern werden. Die wurden seit Ende des 17.Jahrhunderts nicht mehr benutzt.

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