: Gräfliche Ratschläge
Chancenloser Sozialismus, übergesiedelte Rabeneltern, ein inkompetenter Bauminister und Konföderation ■ E R E I G N I S D D R
Die DDR-Oppositionsgruppe Demokratischer Aufbruch ist programmatisch noch unscharf, doch auf der Public-relations -Klaviatur weiß sie bereits zu spielen. Am Wochenende zum Stelldichein beim Kanzler, gab sie gestern eine Pressekonferenz mit dem FDP-Vorsitzenden Lambsdorff in Ost -Berlin. Während Teile des „Aufbruchs“ noch von einer demokratischen Variante des Sozialismus in der DDR träumen, mußten sie sich gestern vom Grafen eines Besseren belehren lassen: Vorstellungen eines „geläuterten Sozialismus“ hätten keine Chance.
Harte Vorwürfe gegen ehemalige DDR-BürgerInnen veröffentlichte die Gewerkschaftszeitung 'Tribüne‘ in ihrer gestrigen Ausgabe. So seien Fälle bekanntgeworden, in denen übersiedelnde Eltern ihre Kinder zurückgelassen hätten. Betroffen seien sowohl Säuglinge als auch schwerbehinderte Kinder. In Magdeburg seien bislang 80 solcher Fälle bekanntgeworden. Die Jugendhilfe in Ost-Berlin berichtete von 60 Fällen zurückgelassener Kinder.
DDR-Bauminister Baumgärtel (CDU) - gerade neu im Amt - soll schon wieder zurücktreten. Das forderten die BürgerInnen von Wismar, wo Baumgärtel bis zu seinem Karrieresprung als Oberbürgermeister amtierte. Die Einwohner verweisen auf den katastrophalen baulichen Zustand ihrer Altstadt, den Baumgärtel mitzuverantworten habe.
Rolf Henrich, Mitinitiator des Neuen Forums, hat einen Volksentscheid über das Wahlgesetz vorgeschlagen. Aber auch Brisanteres kann sich der oppositionelle Rechtsanwalt mittlerweile vorstellen: eine Koalitionsregierung mit einer erneuerten SED beispielsweise.
Vorstellen können sich auch die etablierten Parteien in der DDR eine ganze Menge: die Konföderation mit der Bundesrepublik etwa, die als erstes von der Nationaldemokratischen Partei wieder ins Spiel gebracht worden war. Die CDU hat auch nichts dagegen, und selbst SED -Parteichef Krenz, der sich zunehmend mit „Wiedervereinigungstendenzen“ im Lande konfrontiert sieht, will sich auf diese Weise populär machen. Irgendwann, nach der Auflösung der Blöcke, sei auch so etwas denkbar, diktierte er seinem Interviewer von der 'Financial Times‘ in den Block.
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