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Autonomie für Balten

■ UdSSR-Parlament startet Testballon in baltischen Ländern

Berlin (ap/taz) - Ab 1. Januar werden die baltischen Länder über eine größere wirtschaftliche Autonomie verfügen. Nach heftigen Debatten hat der Oberste Sowjet der UdSSR am Montag abend ein Gesetz mit 296 gegen 67 Stimmen und 37 Enthaltungen verabschiedet, demgemäß die drei baltischen Unionsrepubliken Litauen, Lettland und Estland von den Vorgaben der Moskauer Planungsbehörden weitgehend befreit werden. Die estnischen Abgeordneten begrüßten das Ergebnis stehend mit Jubel.

Künftig werden die Balten über den Boden und die Naturschätze selbst verfügen können. Die Betriebe aller Wirtschaftszweige und die Banken, die bisher von Moskau gelenkt wurden, werden zukünftig den baltischen Behörden unterstellt. Kritikern der Vorlage, die von einer Demontage der Sowjetunion sprachen, hielt der stellvertretende Ministerpräsident Leonid Abalkin entgegen, die Erfahrungen bei der Wirtschaftsreform in den baltischen Ländern kämen allen Republiken zugute. Abalkin kündigte an, dem Gesetz nach könnten die baltischen Rebpuliken nun eigene Währungen für den internen Gebrauch einführen. Der Rubel müsse jedoch Verrechnungseinheit beim Wirtschaftsaustausch mit dem übrigen Land bleiben. Die Tätigkeit der Staatsbank, die Einrichtungen der Streitkräfte, die Erdöl- und Erdgaspipelines werden weiterhin von Moskau aus gelenkt.

Die Entscheidung des Obersten Sowjet war durch die direkte Intervention Gorbatschows möglich geworden. Mit den Worten „Wir brauchen ein solches Gesetz, um auf dem Weg der wirtschaftlichen Reformen voranzukommen“ machte er seine Unterstützung für das Gesetz deutlich. Er wies aber auch darauf hin, daß sich die Autonomie innerhalb des Rahmens der Sowjetunion zu bewegen habe. Er kündigte ähnliche Gesetze für alle 15 Unionsrepubliken ab 1991 an. In der ersten Lesung verabschiedete das Parlament auch Vorlagen über die Pressefreiheit und die Bodenreform. Eine Zensur der Massenmedien ist in Zukunft nicht mehr statthaft.

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