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Politische Vetorechte für die DDR

■ Antje Vollmer, Bundestagsabgeordnete der Grünen, zur Wiedervereinigungsdebatte

Die spinnen, die Deutschen! Die Wiedervereinigungswelle rollt, kaum aufgewacht, muß sich die junge Demokratiebewegung in der DDR schon ihrer Haut und der unsäglichen Vereinnahmungsversuche von westdeutscher Seite wehren. Entweder-oder, das ist tatsächlich die Frage. Entweder eine eigenständige Entwicklung der DDR oder das Gefressenwerden durch ökonomische Zwänge und unzumutbare Bedingungen, mit denen Kanzler Kohl, unter freudiger Assistenz von Rudolf Augstein, die neu entstandene andere Republik an seiner breiten Brust zerquetschen will.

Was können wir jetzt tun? Die Position der Zweistaatlichkeit, bisher von der SPD und den Grünen vertreten, verliert an AnhängerInnen. Die Wiedervereiniger erhalten Zulauf, hüben und auch drüben. Das zwingt zur Präzisierung: Wir wollen eine sanfte Zweistaatlichkeit, die sowohl die wachsende Nähe zwischen den Deutschen zuläßt, wie auch die Eigenständigkeit und die notwendige Distanz organisiert. Wie soll das aber gehen: eine gleichberechtigte paritätische Entwicklung zwischen zwei Staaten, wo der eine groß, satt, mächtig, ökonomisch potent ist, der andere aber nichts so sehr braucht wie eine wirklich für die eigene Entwicklung offene Zukunft? Der ökonomische Druck macht ja vor der nationalstaatlichen Grenze nicht Halt. Also ist das Gebot der Stunde, politische Vetorechte der DDR zu organisieren, mit der die wirtschaftlichen Selbstläufe unterbunden werden können. Dafür muß es Formen der politisch verträglichen Zusammenarbeit geben, in denen die DDR das gleiche politische Stimmrecht hat wie die stärkere Bundesrepublik.

Warum ich für diesen dritten Weg bin? Er bietet die einzige Chance, daß wir durch diese ausgehaltene Distanz zwischen zwei deutschen Ländern überhaupt noch einen Blick erhalten für das, was es in der Welt sonst noch gibt: Afrika, Lateinamerika, den Nahen Osten, die Umwelt. Alles wird jetzt vergessen. Wir kennen nur noch Deutsche, wir kennen nur noch die deutsche Frage. Ein solches massiertes, zusammengeballtes deutsches Staatswesen, das wäre eine Bleilast mitten im entstehenden Europäischen Haus. Ich fordere alle, die eine ökologischere Bauweise für dieses Europäische Haus wollen, auf, endlich bei uns eine Demokratiebewegung, eine öffentliche Debatte darüber anzufangen, welchen be-grenzten Anteil wir für unser Land beanspruchen wollen.

Selten gab es eine solche Chance, etwas Offenes zu gestalten wie jetzt. Aber dafür brauchen wir andere Mehrheiten. In der DDR wird es bei den nächsten Wahlen diese anderen Mehrheiten geben, bei uns müssen wir ab sofort anfangen, die Konzepte und die Personen zu suchen, die eine andere Politik, eine Politik der Selbstbegrenzung tragen können.

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